Wassermanns Zorn (German Edition)
niemand kannte.
Frank hatte genau verstanden, was Ulf meinte. Im Taxi wurden die Menschen gesprächig, vor allem, wenn sie getrunken hatten. Dann erzählten sie Dinge, die sie sonst niemandem erzählten. Als Taxifahrer lernte man die zwischenmenschlichen Strukturen eines Ortes oder eines Stadtteils bis in die tiefsten Abgründe kennen.
Frank fuhr auf schnellstem Weg zur S-Bahn-Station Schwarzer Berg . Er parkte als Letzter in einer Reihe von vier Taxen, stieg aus und ging auf die Männer zu, die dort zusammenstanden und rauchten. Auch sein Firmenkollege Heiko Brockmann war darunter.
«Na, wieder erholt?», begrüßte ihn Gunnar, der für ein anderes Unternehmen fuhr. Er war schon so lange dabei, dass seine Wirbelsäule bereits die Form eines Autositzes angenommen hatte. Er trug stets weiße Socken in Biolatschen und wurde deshalb von allen Müsli genannt.
«Wovon?», fragte Frank.
«Sag bloß, du weißt nicht mehr, was für eine Show du gestern Nachmittag hier abgezogen hast. Was war eigentlich los? Wenn Heiko uns nicht davon abgehalten hätte, hätten wir die Polizei gerufen, und dann haust du einfach mit dieser Tussi ab!»
Natürlich erinnerte Frank sich. Wie könnte er das vergessen?
«Ich hatte nur schlecht geträumt», wiegelte er ab.
«Vielleicht solltest du zu Hause schlafen», sagte ein anderer Kollege, den Frank nicht kannte; das war aber kein Wunder, in dieser Branche herrschte eine unglaubliche Fluktuation.
«Diese Frau, mit der ich gestern weggefahren bin, kennt die jemand von euch?», fragte Frank.
«Du etwa nicht?», fragte Müsli und brachte damit alle außer Heiko zum Lachen.
«Schon, aber ich muss wissen, wo sie arbeitet.»
«Wieso?», fragte der Fahrer, den Frank nicht mit Namen kannte. «Bist du bei ihr abgeblitzt? Oder ist sie abgehauen, ohne zu bezahlen? Obwohl, danach sah die gar nicht aus. Eher so, als würde sie in Naturalien bezahlen.»
Er machte mit beiden Händen eine Bewegung, die Geschlechtsverkehr nachahmen sollte. «Oder hat sie auf die Art bezahlt, und du hast es für die große Liebe gehalten?»
Frank machte einen schnellen Schritt nach vorn und baute sich vor dem kleinen Kerl auf.
«Du haust jetzt besser ab, bevor ich dir die Fresse poliere», sagte er mit kaum verhohlener Wut in der Stimme.
«Stell dich nicht so an, du …»
Frank packte den Kerl am Kragen seiner Jacke und stieß ihn von sich.
«Hau ab, sonst lernst du mich kennen.»
Das genügte. Der Mann ging zu seinem Taxi und fuhr davon. Aber nicht, ohne ihm beim Einsteigen noch «Arschloch!» hinterherzurufen.
Die anderen sahen Frank erstaunt an, vor allem Heiko. So etwas hatten sie bei dem immer ruhigen, ausgeglichenen und dauernd müden Frank Engler noch nicht erlebt.
Nach einem Moment bedrückten Schweigens räusperte sich Müsli.
«Ich glaube, ich hab die mal gefahren.»
«Und von wo?»
«Na von hier nach Hause. Ist schon ’ne Weile her, und ich weiß es nicht mehr so genau, aber ich meine, sie hätte gesagt, sie würde in diesem Modemarkt in der Fußgängerzone arbeiten. Gegenüber der Sparkasse, wie heißt der noch gleich.»
«GoShop?», fragte Frank.
«Ja, genau der.»
«Okay. Danke. Du hast mir sehr geholfen. Hast was gut bei mir.»
Damit wandte Frank sich ab und ging zu seinem Taxi zurück.
«Warte mal», rief ihm Heiko hinterher.
«Ich hab’s eilig», erwiderte Frank über die Schulter.
«Was ist denn los?», fragte Heiko. Er sah besorgt aus. «In der Firma sagt keiner was, aber Barbara macht sich große Sorgen. Ist irgendwas passiert?»
Frank schüttelte den Kopf.
«Alles halb so wild, nur eine familiäre Sache, um die ich mich kümmern muss. Du weißt ja, wie das ist.»
«Gott sei Dank. Ich dachte schon … Sag mal, hat dich der Typ wegen seines Handys eigentlich erreicht?»
«Was?»
«Gestern, nachdem du so überstürzt mit der Frau weggefahren bist, kam so ein Mann zu mir und sagte, er hätte am Vortag sein Handy bei dir im Wagen vergessen. Der war echt verzweifelt, weil du ihm vor der Nase weggefahren bist, da habe ich ihm deine Adresse gegeben. War doch in Ordnung, oder?»
Frank starrte Heiko an. Den gutmütigen Heiko, der keiner Fliege etwas zuleide tat.
«Wie sah der Mann aus?», fragte Frank.
«Ganz normal. Jung, vielleicht fünfundzwanzig, ein bisschen blass, drahtig, er trug eine Sonnenbrille und so ’ne Mütze, du weißt schon, Rapperzeugs. Und er hatte so ’n schmales Fischgesicht.»
8
Nielsen überprüfte Stifflers Waffe und steckte sie ein. Dann packten sie
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