Wassermanns Zorn (German Edition)
ihn gemeinsam und wuchteten ihn hoch. Dabei schlug Manuela ein Schwall derart üblen Geruchs ins Gesicht, dass sie würgen musste.
«Komm schon», fuhr Nielsen seinen Kollegen an. «Hilf uns wenigstens ein bisschen.»
«Was will die blöde Kuh hier?», lallte Stiffler.
Manuela ignorierte das Gepöbel. Vorläufig. Irgendwann würde das alles wieder auf den Tisch gebracht werden, aber nicht jetzt.
«Eric, halt die Klappe, sonst lassen wir dich hier liegen. Ich schwör’s dir», keuchte Nielsen warnend.
Sie schleppten ihn ein paar Meter vom See weg in Richtung des Trampelpfades. Doch plötzlich stemmte er die Hacken in den Boden.
«Und wenn er noch da drin ist … unter Wasser», sagte Stiffler mit leiser, heiserer Stimme.
Eine mächtige Fahne wallte ihnen zusammen mit den Wörtern entgegen.
«Dann finden ihn die Kollegen», antwortete Nielsen.
«Ich hätte ihn damals umbringen sollen», murmelte Stiffler.
Und auch wenn man sich später darüber würde streiten können, ob er das wirklich gesagt hatte, oder wie bei einem derartigen Blutalkoholwert der Wahrheitsgehalt einer solchen Aussage einzuschätzen war, merkte Manuela sich diese Worte doch gut. Dies hier musste eine Vorgeschichte haben, über die Stiffler sie alle bislang im Dunkeln gelassen hatte. Sie hatte so etwas doch geahnt.
Auf dem schmalen Trampelpfad konnten sie ihn nicht mehr gemeinsam stützen. Daher übernahm das Nielsen. Manuela folgte den beiden mit einigem Abstand – wegen des Gestanks. Nach wenigen Schritten blieb sie stehen und wandte sich um.
Das dunkle Wasser kräuselte sich leicht im Wind.
Hatte sie da nicht etwas gehört? Ein Plätschern.
Ihr Körper versteifte sich, das Herz begann zu rasen, und plötzlich glaubte sie, wieder die Frau zu sehen, wie sie wie von Geisterhand aufs offene Wasser hinausgezogen wurde, mit einem Ruck unter Wasser verschwand, bis nur noch ihre ausgestreckte Hand ihren Todeskampf verriet. Wisperte da nicht etwas?
«Sperling, wo bleiben Sie?», rief Nielsen, der sich auf dem unebenen Weg mit seinem Kollegen abkämpfte.
Seine Worte rissen Manuela aus ihrer Starre. Sie lief den beiden hinterher.
Sie verfrachteten Stiffler auf den Beifahrersitz seines Mercedes. Nicht nur Hauke Schröder und Torsten Berg beobachteten sie dabei. Neben den beiden stand ein Polizist in Uniform und starrte ebenfalls herüber.
Nielsen schlug die Tür zu, richtete sich auf und holte tief Luft.
Das alles schien ihm sehr nahe zu gehen, auch wenn er Stiffler nicht mochte und ihn für einen Feigling hielt. Manuela glaubte es ihm, weil er auch für das einstand, was er noch gesagt hatte: dass man einen Kollegen nicht hängenließ. Weil einer für den anderen da sein musste, wenn es hart auf hart kam.
Nielsen wandte sich ab, spuckte aus und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab.
«Okay, wir machen es so», sagte er dann. «Ich fahre ihn nach Hause. Sie folgen mit meinem Wagen, danach fahren wir gemeinsam ins Präsidium.»
Er übergab ihr seine Wagenschlüssel und sah ihr dabei direkt in die Augen.
«Danke.»
«Wofür?», fragte Manuela überrascht.
«Für Ihre Hilfe. Nach der Sache von gestern hätte das nicht jeder gemacht. Ehrlich gesagt habe ich an Ihnen gezweifelt, und das tut mir leid. Sie sind in Ordnung. Mehr als das.»
Manuela stieg in Nielsens Wagen und schob den Sitz nach vorn. Dank Nielsens anerkennenden Worten fühlte sie sich schon wieder viel besser.
Sie folgte dem Mercedes. Im Vorbeifahren warf sie einen Blick zu den beiden Spurentechnikern und dem Polizisten hinüber. Der nahm seine Sonnenbrille ab, lächelte schüchtern und fuhr sich mit der Hand durchs blondes Haar. Erst jetzt erkannte Manuela ihn. Es war Andreas Bader.
9
Der starke chemische Gestank billiger Kleidung stand wie eine feste Masse in der überhitzten, nicht klimatisierten Halle.
Frank zwängte sich im Eingangsbereich zwischen Grabbeltischen voller buntem Spielzeug für Kleinkinder hindurch und sah sich in dem Laden um. Ein paar Kundinnen standen an den Tischen, aber er sah keine Verkäuferin, deshalb ging er tiefer in die Halle.
In der hinteren rechten Ecke entdeckte Frank eine Frau. Sie war damit beschäftigt, Jeanshosen in ein Regal zu sortieren. Das Licht der Neonröhren versickerte in ihrer kunstvollen, rotgefärbten Turmfrisur. Sie trug eine schwarze Hose und eine weiße Bluse mit einem Namensschild über der linken Brust.
«Entschuldigen Sie», sprach Frank sie an.
Sie drehte sich zu ihm um und musterte ihn, wie es nur
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