Wassermanns Zorn (German Edition)
doch auch ein Zufall gewesen sein, oder?»
Sie schüttelte den Kopf und steckte die Kippe zu den anderen in den Sand des Aschenbechers, wo sie qualmend erlosch.
«Glaub ich nicht. Der ist ihr echt zielstrebig hinterher. Der wird ihr doch nichts angetan haben, oder?»
«Können Sie ihn beschreiben?»
Sie nickte.
«Das war so ein dünner, drahtiger, mit Mütze und Sonnenbrille. Mehr weiß ich nicht, ich hab ihn ja nicht aus der Nähe gesehen.»
Frank lief über die Straße und trat in das kleine, zwischen ein Sonnenstudio und einen Lebensmittelmarkt gequetschte Café.
Drinnen empfing ihn der Duft nach frischgemahlenem Kaffee, Croissants und Brötchen, die fertig belegt in der Auslage auf Hungrige warteten. Das Café gehörte nicht zu einer der großen Ketten, die es jetzt überall gab, dementsprechend war die Ausstattung weder besonders edel noch stylisch, sondern einfach nur zweckmäßig.
Hinter dem Tresen stand eine korpulente Frau mit raspelkurzem blondem Haar. Sie lächelte ihn freundlich an.
«Was darf es denn sein?»
«Eine Auskunft», sagte Frank.
Ihre Miene veränderte sich ein wenig.
«Und ein Käsebrötchen und einen Kaffee zum Mitnehmen», schob Frank nach, und sie lächelte wieder. Er hatte noch nicht gefrühstückt und musste ohnehin etwas essen, und wenn er sich die Frau damit gewogen machen konnte, sollte es ihm recht sein.
Sie ließ den Kaffee in den Styroporbecher laufen. «Was für eine Auskunft brauchen Sie denn?», fragte sie.
«Ich suche einen Mann, der gestern hier war. Möglicherweise ist er recht plötzlich aufgebrochen und hinter einer jungen Frau hergelaufen, die aus dem Geschäft da drüben kam.»
Er zeigte auf den Bekleidungsdiscounter.
«Ach der», sagte die dicke Frau sofort und legte die Brötchentüte auf den Tresen. «Sind Sie Polizist, oder was?»
«Nein. Nur ein besorgter Freund.»
«Sollten Sie auch sein, wenn dieser Kerl ihrer Freundin nachstellt. So ein unsympathischer Fatzke.»
Frank musste unwillkürlich über den Ausdruck lächeln.
«Warum?», fragte er und spürte, wie die Aufregung in seinem Inneren wieder anstieg.
«Kein Hallo, kein Wiedersehen, kein Trinkgeld. Nicht einen einzigen Cent, dabei war er bestimmt vier- oder fünfmal in den letzten zwei Wochen hier.»
«Moment», hakte Frank nach. «Er war öfter hier?»
«Aber sicher. Hat immer am selben Platz gesessen. Da drüben am Fenster.»
Sie zeigte auf einen der freien Plätze vor der Fensterfront.
«Hat da gesessen, sich stundenlang an einem heißen Kakao festgehalten und die Straße beobachtet. Ein unheimlicher Zeitgenosse, wenn Sie mich fragen.»
«Können Sie ihn genauer beschreiben?»
«Na ja, er war jung, so Mitte zwanzig, ziemlich dünn. Am auffallendsten war sein langes blondes Haar. Wie bei einem Mädchen. Er hatte auch so ein weibliches Gesicht.»
Langsam fügte sich ein Bild zusammen: ein unheimlicher, dünner Mann mit Fischgesicht und blondem, langem Haar.
«Und gestern?», fragte Frank. «Haben Sie gesehen, dass er einer Frau hinterhergelaufen ist?»
«Nee, das nicht, aber er ist aufgesprungen wie von einer Tarantel gestochen. Sie könnten schon recht haben damit, dass er jemandem hinterher ist.»
Sie stellte den Kaffee auf den Tresen und drückte einen Plastikdeckel drauf.
«Was ist denn passiert? Hat er Ihre Freundin belästigt?»
«Möglicherweise», sagte Frank und zog einen Fünf-Euro-Schein aus seinem Portemonnaie. «Stimmt so.»
«Oh, danke», sagte sie erfreut. Der tatsächliche Preis lag laut Sonderangebot bei exakt der Hälfte.
«Wären Sie bereit, das, was Sie eben gesagt haben, gegenüber der Polizei zu wiederholen?»
Ein Schatten ging über ihr Gesicht. «Ich will auf keinen Fall in irgendwas hineingezogen werden», sagte sie abweisend.
«Natürlich nicht. Es ginge, wenn überhaupt, nur um diese Aussage.»
Sie beugte sich ein Stück weit über den Tresen und lächelte Frank an.
«Aber nur, weil du so ein Süßer bist und der andere Kerl mir nie ein Trinkgeld gegeben hat.»
Wenig später saß Frank in seinem Taxi, aß das Brötchen und trank den erstaunlich guten Kaffee. Er dachte nach.
Das, was er in der letzten halben Stunde erfahren hatte, war überraschend. Er hatte Lavinia geglaubt, dass sie verfolgt wurde, aber jetzt wurde die Sache fassbar. Es war an der Zeit, die Polizei einzuschalten. Sie mussten ihm einfach glauben: Zwei Frauen, die Ähnliches sagten, und dieser Typ, der über Heiko Brockmann an Franks Adresse gelangt war, das war doch schon eine
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