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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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verstehe?»
    «Was?»
    «Ich konnte der Frau nicht helfen, also bin ich ans Ufer geschwommen und habe von dort aus das Wasser beobachtet, aber da waren weder Luftblasen zu sehen, die auf ein Pressluftatemgerät hingewiesen hätten, noch ist jemand aufgetaucht. Wie lange kann ein normaler Mensch wie Sie und ich unter Wasser bleiben, ohne zu atmen?»
    Die Pathologin zuckte mit den Schultern und steckte die Hände in die Taschen ihres weißen Kittels.
    «Sie und ich? Nicht lange. Wir können dem Atemreflex nicht widerstehen und würden unter Wasser atmen, auch wenn wir wissen, dass es unseren Tod bedeutet. Aber man kann trainieren, den Atemreflex zu unterdrücken, indem man mit einer speziellen Technik den Kohlendioxidgehalt im Blut senkt. Wir kennen das von den Apnoe-Tauchern. Die beherrschen auch noch spezielle Ausgleichstechniken wie das Herbeiführen des Bloodshift-Effektes. Dabei wird das Blut aus den Extremitäten in die Körpermitte verlagert, damit sie in großen Tiefen überleben.
    Mit ein bisschen Übung kann man diese Techniken erlernen und je nach persönlicher Konstitution einige Minuten unter Wasser bleiben. Mit Hilfe einer erhöhten Inzidenz ventrikulärer Extrasystolen wird die Herzfrequenz drastisch gesenkt, mitunter auf nur noch zehn Schläge pro Minute. Das spart Sauerstoff.»
    «Ventrikuläre … was?»
    «Das sind Herzschläge außerhalb des normalen Herzrhythmus, die nicht wie üblich im Sinusknoten entstehen, denn der lässt sich nicht willentlich beeinflussen, sondern in den Herzkammern. Ein Effekt, den wir mit tauchenden Säugetieren wie zum Beispiel Walen gemein haben.»
    Manuela nickte.
    «Ich verstehe. Und Sie meinen, das kann jeder?»
    «Vielleicht nicht gerade jeder, aber ein gesunder Mensch ganz sicher. Mit den richtigen Veranlagungen kommen schnell respektable Tauchzeiten von drei bis vier Minuten zusammen.»
    «Ich habe länger aufs Wasser gestarrt, bestimmt doppelt so lange.»
    Die Pathologin lächelte verständnisvoll.
    «Dann haben Sie ihn vielleicht nicht auftauchen sehen oder die Zeit falsch eingeschätzt. Passiert häufig in Extremsituationen.»
    Oder wir haben es doch mit jemandem zu tun, der noch länger unter Wasser bleiben kann, dachte Manuela und spürte, wie es ihr dabei kalt den Rücken hinablief.
    «Geht es Ihnen nicht gut?», fragte Dr. Vossfeld und berührte sie am Ellenbogen.
    Manuela riss sich zusammen und versuchte zu lächeln. «Doch, doch, es geht schon.»
    «Kommen Sie, gehen wir in mein Büro. Sie müssen sich die Leiche nicht anschauen, ich kann Ihnen alles Relevante auch dort berichten. Und ich habe frischen Kaffee.»
    Sie mochte keinen Kaffee, aber das war eine verlockende Einladung. Dennoch zögerte sie.
    Dr. Vossfeld schien ihre Gedanken lesen zu können.
    «Na los, kommen Sie schon. Selbst Stiffler sieht sich die Leichen nur an, wenn es unbedingt sein muss. Da ist nichts dabei.»
    Die Pathologin legte ihr eine Hand auf den Rücken und dirigierte sie nach links in einen Wartebereich mit blauen Plastikstühlen. Von dort aus führte eine Tür in ihr Büro. Der Schreibtisch stand nicht wie sonst üblich in der Mitte des Raumes, sondern hinten links an der Wand. Vorn neben der Tür stand ein runder Tisch mit Glasplatte und vier Chromstühlen, darauf ein Strauß frischer Sommerblumen.
    «Nehmen Sie Platz. Ich sorge für den Kaffee.»
    Während die Kaffeebohnen frisch gemahlen wurden, sagte die Pathologin über den Lärm hinweg:
    «Die Kaffeemaschine ist mein ganzer Stolz. Vierhundert Euro. Aber bei jeder Tasse bin ich froh, das Geld ausgegeben zu haben. In diesem Beruf muss man sich kleine Inseln der Schönheit schaffen, und da gehört das Kulinarische unbedingt dazu. Kaffee oder Cappuccino?»
    «Cappuccino bitte», sagte Manuela, denn den trank sie hin und wieder ganz gern. Sie war beeindruckt. Dr. Vossfeld schien ihr Leben und ihren Beruf fest im Griff zu haben, nicht umgekehrt, wie es leider bei vielen Menschen der Fall war.
    Die Pathologin kam mit zwei Tassen an den Tisch und stellte sie vorsichtig auf der Glasplatte ab.
    «Perfekter Milchschaum», sagte Manuela anerkennend.
    «Warten Sie mal den Geschmack ab.»
    Dr. Vossfeld löste das Gummiband, das ihren Zopf hielt, zog ihr Haar straff nach hinten und band es wieder zusammen.
    «Die Todesursache ist Ertrinken», sagte sie dabei, «damit war ja zu rechnen. Wie die erste Leiche weist auch diese Druckstellen am ganzen Körper auf. In ihrem Rücken finden sich ebenfalls Holzsplitter, sie wurde also

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