Wassermanns Zorn (German Edition)
Nicht falsch verstehen. Da wird es in der Hauptsache um Eric gehen, nicht um den Fall, und die anderen Kollegen werden nicht vor einer Neuen über einen altgedienten Kollegen sprechen. Stattdessen setzt du dich an diesen alten Fall und findest alles heraus, was es herauszufinden gibt. Wir treffen uns später und gehen die Sache zusammen durch. Du sprichst nur mit mir darüber, mit sonst niemandem, und wir entscheiden dann, wie es weitergehen soll.»
Manuela nickte. Dass sie bei der Besprechung nicht dabei sein würde, störte sie nicht weiter. Sie freute sich über das, was Nielsen noch gesagt hatte.
Sie würden entscheiden, wie es weiterging.
Nicht er, nicht die anderen.
Sie als Team.
Nielsen hatte den Türgriff schon in der Hand, hielt aber noch mal inne.
«Aber vorher läufst du bitte in die Rechtsmedizin rüber, wegen Erics Frau.»
13
Die Sommerferien neigten sich ihrem Ende entgegen. Seit zwei Wochen schien die Sonne unentwegt von einem stahlblauen Himmel, und das Gras auf den Wegen und am Waldrand war braun und trocken und roch nach Staub. Selbst die genügsamen Kiefern verloren gelbbraune Nadeln, und im Radio warnten sie vor der erhöhten Waldbrandgefahr.
Sogar das Wasser des Gorreg hatte sich um zwei Grad erwärmt. Der See wurde von zwei unterirdischen Quellen gespeist, daher passierte das nur höchst selten und nur in den heißesten Sommern.
Ihre Eltern sahen sie nur morgens, einmal kurz zur Mittagszeit und abends wieder. Die Saison lief wegen des Wetters und der vielen Daheimgebliebenen sehr gut, aber sie zerrte auch an den Kräften. Vater und Mutter waren oft gereizt, wenn sie von der Arbeit heimkamen. Sie waren wortkarg und gingen früh zu Bett, und er hatte sie durch die dünnen Holzwände der Hütte oft streiten hören.
Vater sagte, es sei ihre letzte Saison. Sie würden nach den Ferien versuchen, alles zu verkaufen, und dann in die Heimat zurückkehren. Das zu hören war ein Schock. Er liebte den Gorreg, hier war er die vergangenen acht Jahre aufgewachsen. Im Winter waren sie immer für ein paar Monate in die Heimat zurückgekehrt, und er hatte sich ständig nach seinem See gesehnt.
Vielleicht würde er einfach hierbleiben. Er war schließlich alt genug, um auf eigenen Beinen zu stehen.
Er strich das kleine Holzboot, das kieloben auf dem Steg lag, mit Teerfarbe. Sein Vater hatte ihm diese Aufgabe übertragen, denn es war undicht, und Wasser drückte durch die Planken. Das Streichen war eine methodische, gleichförmige Arbeit, bei der er gleichzeitig nachdenken und seine kleine Schwester im Auge behalten konnte.
Der intensive Geruch der Teerfarbe betäubte seine Nase und seinen Kopf. Schweiß lief ihm in die Augen, während er in der prallen Mittagssonne den schwer gewordenen Pinsel über die Planken strich. Sobald er nur ein paar Minuten innehielt, trocknete die Farbe am Pinsel fest, und er musste ihn mühsam wieder geschmeidig machen.
Deswegen konnte er nicht zwischendurch ins Wasser springen und sich abkühlen. Siiri tobte schon seit einer Stunde im See. Jetzt lag sie erschöpft auf ihrer violetten Luftmatratze, die Mama ihr aus dem Supermarkt in der Stadt mitgebracht hatte. Die künstliche Farbe ließ sie wie einen Fremdkörper auf dem See wirken, aber seine Schwester liebte das Ding. Stundenlang trieb sie damit auf dem Wasser umher.
Sie war schon weit draußen. Sie lag auf dem Bauch und hatte die Knie angewinkelt. Eigentlich hatten Mama und Papa ihr verboten, schon wieder schwimmen zu gehen, denn sie hatte nach einem Magen-Darm-Virus vier Tage lang das Bett hüten müssen.
Während ihrer Krankheit war Mama daheimgeblieben. Er hatte mit seinem Vater hinüber ins Freibad gemusst. Sein Vater hatte sich um den Kiosk und er sich um den Bootsverleih gekümmert. Diese vier Tage waren die Hölle gewesen. So viele Menschen, so viel Lärm! Nicht einmal für fünf Minuten hatte er sich zurückziehen können. Und er hatte sie tuscheln gehört. Ist das nicht der Typ, der nicht mal geradeaus schwimmen kann? Solche Sachen hatten sie gesagt und mit dem Finger auf ihn gezeigt.
Der Wettkampf war nicht vergessen. Niemals würde er diese Schmach vergessen, und niemals würde er mehr an einem Wettkampf teilnehmen. Auch wenn sein Vater das nicht akzeptieren wollte.
«Junge, man kann verlieren, das ist keine Schande, aber niemals darf man aufgeben. Hörst du! Niemals!»
Wie oft hatte er sich das seitdem anhören müssen, wie oft? Dieser Satz verfolgte ihn bis in den Schlaf. Sein Vater hatte nichts verstanden. Er
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