Wassermanns Zorn (German Edition)
partout keine Verbindung zu dem Fall sehen wollte. Er hatte damals schlampig gearbeitet und wusste das auch.
Manuela wurde immer nervöser. Ihr rechter Fuß wippte in schnellem Takt auf und ab. Eine gewisse Grundspannung und Nervosität war bei ihr ohnehin immer vorhanden, schon als Schülerin hatte sie nie lange still sitzen können. Zwang man sie dazu, ersetzte ihr Mundwerk die fehlende Bewegung. War niemand anwesend, mit dem sie sprechen konnte, so wie jetzt, dann führten sämtliche Extremitäten ein Eigenleben.
Sie arbeitete die Akte gerade zum zweiten Mal durch, machte sich Notizen, versuchte gleichzeitig aber auch, sich die Einzelheiten zu merken. Sie befand sich auf der richtigen Spur. Nach dem, was sie von Dr. Vossfeld gehört hatte, konnte es daran gar keinen Zweifel mehr geben.
Am Ende des Gesprächs hatte die Pathologin ihr versprochen, ihre Mitarbeiter, vor allem ihren Stellvertreter, Dr. Heinemann, auf den zurückliegenden Fall anzusprechen. Sobald sie über Informationen verfügte, die nicht in der Ermittlungsakte standen, würde sie anrufen.
Nielsen erschien in der Tür zum Großraumbüro, machte eine schnelle Bewegung mit dem Kopf und verschwand wieder.
Manuela raffte die Unterlagen zusammen, steckte sie in eine Mappe und folgte ihm in sein Büro. Er saß bereits wieder hinter seinem Schreibtisch, als sie eintrat.
«Setz dich.»
Er deutete auf den einzigen Besucherstuhl.
Manuela nahm auf der vordersten Kante des Stuhls Platz. Eigentlich saß sie kaum, sondern schwebte darüber, bereit, jeden Moment aufzuspringen, um Nielsen einen Blick in die Akte werfen zu lassen. Aber Nielsens Mimik war eindeutig: Noch vor ein paar Minuten hatte er sich furchtbar geärgert, und dieser Ärger war längst nicht abgeklungen.
«Eric ist raus», sagte er.
«Inwiefern?»
«Sobald er im Präsidium erscheint, wird er suspendiert. Bender will ein psychologisches und medizinisches Gutachten, um zu entscheiden, ob er überhaupt noch diensttauglich ist. Ich musste ihm berichten, was du gestern Nacht gesehen hast, es ging nicht anders. Wir können das Risiko nicht eingehen, dass er sich oder anderen etwas antut. Ich will nicht mit dem Wissen leben müssen, dass ich es hätte verhindern können. In diesem Zustand darf Eric keine Waffe tragen.»
Nielsen hielt inne und betrachtete seine Hände. Manuela schwieg, denn er war noch nicht fertig, das spürte sie.
«Habermann ist auch raus.»
«Warum das denn?»
«Weil er getan hat, was ich hätte tun müssen. Er hat sich auf Erics Seite gestellt. Er hat uns vorgeworfen, einen verdienten Polizisten, der sein ganzes Leben für die Polizei hergegeben hat, für nur einen einzigen Fehler in den Hintern zu treten. Er hat uns als illoyal bezeichnet, auch Bender. Bender ist knallrot angelaufen, ich dachte, der Mann platzt. Er hat Habermann vor die Wahl gestellt: Entweder entschuldigt er sich auf der Stelle, oder er wird von dem Fall abgezogen. Habermann ist aufgestanden und aus dem Raum gegangen. Wortlos.»
Nielsen schüttelte den Kopf.
«Hätte ich dem gar nicht zugetraut. Vor Bender so aufzutreten … Dazu gehört wirklich Mut.»
Mehr musste Nielsen nicht sagen. Manuela wusste auch so, wie der Satz weitergehen sollte.
Mut, den ich nicht habe.
«Das ist feige», sagte sie schnell.
Es war das Erstbeste, was ihr einfiel. Nielsen sah sie mit bedrohlich zusammengezogenen Brauen an, und sie schob hastig die Begründung nach.
«Er läuft vor der Wahrheit davon und lässt seine Kollegen mitten in der Ermittlung allein. Also ich finde das feige.»
Die Augenbrauen entspannten sich nach und nach. Manuela traute sich, seinem Blick standzuhalten. Seine Augen waren von einem intensiven, dunklen Blau, fast wie das Wasser der Tiefsee. Sie schwiegen und starrten sich einen Moment an, und obwohl Schweigen Manuela sonst eher unangenehm war, empfand sie es jetzt nicht so. Wenn sie sich nicht völlig in dem Mann vor ihr täuschte, wurde hier gerade eine Partnerschaft, wenn nicht sogar eine Freundschaft fürs Leben geschmiedet.
Schließlich nickte er und lächelte.
«Habermann und Petrie haben heute Vormittag herausgefunden, dass Erics Frau vor vier Tagen verschwand», wechselte er das Thema. Sein Ton war jetzt wieder professionell.
«Sie lebte allein. Ihr Arbeitgeber, ein städtisches Krankenhaus, hat sie natürlich vermisst, und eine Kollegin hat ein paar Mal an ihrer Haustür geklingelt, aber niemand ist auf die Idee gekommen, die Polizei zu rufen.»
«Weiß man, wo sie
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