Wassermanns Zorn (German Edition)
vermutlich in demselben Raum gefangen gehalten wie die erste Leiche, in einem Holzschuppen oder etwas Ähnlichem. Es handelt sich um Eichenholzsplitter. Das Holz ist alt und wurde irgendwann mit einer teerhaltigen Farbe gestrichen. Wenn ich tippen sollte, wofür ich aber nicht bezahlt werde, würde ich sagen, der Täter hält sie in einem Bootsschuppen gefangen.»
«Moment», sagte Manuela. «Die Frauen wurden vor ihrem Tod gefangen gehalten?»
Dr. Vossfeld nickte.
«Sieht so aus. Wussten Sie das nicht?»
Manuela schüttelte den Kopf.
«Stiffler hält Sie also nicht auf dem Laufenden?»
«Wir haben unsere Differenzen», gab Manuela zu.
«Alles andere hätte mich auch gewundert.»
Da schwang etwas in der Stimme der Pathologin mit, das Manuela aufhorchen ließ. Eine gewisse Schärfe, die vorher nicht da gewesen war. Sie sah sie fragend an.
«Das ist kein Geheimnis», sagte die Pathologin. «Eric Stiffler ist ein Macho, der für Frauen nicht viel übrighat, es sei denn als Sexualobjekt. Beobachten Sie ihn mal, wie er Frauen anschaut.»
«Wie denn?»
«Wie ein Jäger seine Beute. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Er gafft mir dauernd hinterher, wenn ich nach Dienstschluss in Zivilkleidung über den Parkplatz gehe. Männer wie er haben bei der Polizei eigentlich nichts zu suchen.»
«Harte Worte», sagte Manuela vorsichtig.
«Bei mir müssen Sie kein Blatt vor den Mund nehmen. Ich kenne den Mann schon etwas länger. Na los, probieren Sie Ihren Cappuccino.»
Sie tranken beide davon.
«Wie bei meinem Lieblingsitaliener», sagte Manuela und wischte sich den Schaumstreifen von der Oberlippe.
«Danke. Genau so soll er sein.»
«War Stiffler schon immer so?», fragte Manuela.
«Ich kenne ihn nur so. Seine Frau hat ihn verlassen, weil er zu Prostituierten ging. Jedenfalls munkelte man das eine ganze Weile, und jetzt scheint es sich ja zu bestätigen. Es wundert mich nur, dass er Sie zu mir geschickt hat.»
«Hat er nicht, das war Nielsen. Er führt jetzt die Ermittlung.»
«Aha, das erklärt einiges.»
«Waren Sie vor drei Jahren auch schon hier?», fragte Manuela.
«Ja, warum?»
«Es gab da einen Fall … Eine Prostituierte, die in ihrer Badewanne ertränkt wurde. Wissen Sie etwas darüber?»
«So aus dem Stegreif nicht, und wir arbeiten hier ja auch in Schichten, sodass ich nicht an allen Fällen beteiligt bin. Ich könnte aber für Sie nachsehen, wenn es Ihnen weiterhilft. Suchen Sie nach etwas Bestimmtem?»
«Nach Verbindungen zu diesem Fall. Irgendwas, was ich nicht aus den offiziellen Akten erfahren kann. Stiffler hat damals die Ermittlungen geleitet, sieht aber keine Verbindungen, und das macht mich stutzig. Kann aber auch sein, dass ich mich da in etwas verrenne.»
«Ich wüsste zwar nicht, was das sein könnte, aber ich kann mich gern bei meinen Mitarbeitern erkundigen. Vielleicht erinnert sich jemand an ein Gespräch oder Ähnliches. Lassen Sie mir einfach Ihre Handynummer da.»
Manuela gab sie ihr.
«Ist Stiffler jetzt außen vor?», fragte Nina Vossfeld.
«Wahrscheinlich. Das wird gerade auf höchster Ebene entschieden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Polizeichef ihn an dem Fall dranlässt. Nicht, weil er mir nicht geholfen hat, sondern weil das Opfer seine Exfrau ist.»
Die Pathologin nickte und sah Manuela ernst an.
«Sie müssen vorsichtig sein.»
«Ich? Warum?»
«Weil Stiffler auf jeden Fall Ihnen die Schuld geben wird. Männer wie er ticken so. Passen Sie auf, dass er Ihnen kein Bein stellt.»
«Werde ich. Vielleicht kommt es ja auch gar nicht so weit. Stiffler ist zwar ein sturer Macho, aber er wird ja wohl nicht auch noch rachsüchtig sein.»
Nina Vossfeld lächelte mitleidig.
«Über Männer müssen Sie noch eine Menge lernen, meine Liebe.»
15
Die dröhnende Hupe eines Lkw lässt die Luft vibrieren und den Wagen erzittern. Er weiß, sie gilt ihm, kann sich aber nicht darum kümmern. Das Geräusch dringt tief in seinen Körper, trifft aber nicht die richtige Stelle, berührt ihn nicht dort, wo es notwendig gewesen wäre.
Die Ohren, denkt er, nehmt doch die Ohren.
Es pocht. Laut und nachdrücklich. Fingerknöchel schlagen gegen Fensterglas, direkt neben seinem Kopf.
«Hallo, was ist denn, geht es Ihnen nicht gut? Soll ich einen Rettungswagen rufen?»
Nein, nein, denkt er, keinen Arzt, nur die Ohren, am besten beide zugleich.
Wieder eine Hupe, diesmal aber schrill, wie von einem kleinen Auto, ein Ton wie ein Messerstich, der durch den Gehörgang
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