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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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nicht immer vernünftig, wenn sie irgendwas machen will.«
    »Ihre Koordination ist ausgezeichnet«, protestierte der Erzieher. »Eigentlich sogar außergewöhnlich gut. Schauen Sie sich das hier an.« Er ging zu seinem Schreibtisch und holte eine Mappe, auf der Jessicas Name stand, blätterte sie durch und fischte ein kleines Kaninchen aus Zeichenpapier heraus. »Das ist das Ausschneideprojekt von dieser Woche. Sie sehen, was für eine gute Feinmotorik Jessica hat.« Der Erzieher war jung und hatte selbst keine Kinder. Er sah Margaret neugierig ins Gesicht. »Sie brauchen sich wegen ihr keine Sorgen zu machen«, sagte er.
    Das war ein Satz, den Margaret ständig zu hören bekommen hatte, seit Jessica auf der Welt war. »Machen Sie sich nicht solche Sorgen«, hatte ihr der Kinderarzt noch am selben Tag erklärt, an dem Jessica geboren wurde. Margaret hielt das Baby unbeholfen fest und kam sich total unzulänglich vor. Jessica war so klein, viel kleiner als sie es sich vorgestellt hatte. Und zerbrechlich. Wie dünn der Knochen war, der das Gehirn schützte. Er konnte zerdrückt werden, wenn man nur einen Moment nicht aufpaßte. Die Lungen konnten sich leeren und sich dann nicht wieder füllen. Und was ließ das menschliche Herz eigentlich immer weiter schlagen? Kämpften manche Herzen nicht heftiger als andere darum, am Leben zu bleiben? War es das nicht, was mit Lebenswillen gemeint war? Was für ein Herz hatte dieses Baby?
    Der Doktor hatte keine derartigen Bedenken. »Ein völlig gesundes kleines Mädchen«, sagte er. »Zehn beim Apgartest. Aufgeweckt. Aktiv.« Er lächelte, so daß Margaret den weißen Fleck einer teuren Füllung in einem seiner Eckzähne sah. »Wenn wir doch so vollkommen wären. Falls sie einen Finger am Knöchel verliert, dann sind ihre Regenerationskräfte in diesem Alter so stark, daß ihr eine neue Spitze wächst. Haben Sie das gewußt?« Er klopfte Margaret auf die Schulter. »Machen Sie sich keine Sorgen.«
    »Du behinderst sie«, tadelte Elliot sie Monate später dafür, wie sie Jessica immer wieder hinsetzte, wenn diese sich mit den Beinen hochstemmte, um aufrecht zu stehen.
    »Ich will nur nicht, daß sie hinfällt«, antwortete Margaret. Sie schleppte Jessica viel herum, brachte Schnappschlösser an ihren Schränken und Deckel auf ihren Steckdosen an und untersuchte sämtliches Spielzeug auf kleine, lose Teile, die ihr vielleicht im Hals steckenbleiben könnten. Sie tat, was sie konnte, aber die größte Gefahr war etwas in Jessica, sie selbst. Jessica war eigensinnig und zu furchtlos; es war ein ständiger Kampf zwischen ihnen. Als Margaret sah, wie Jessica Spielzeug in ihrem Kinderbett aufstapelte und bis zum Rand der Stangen hochkletterte, nahm sie die Matratze aus dem Kinderbett heraus und machte Jessica ein neues Bett auf dem Fußboden. Sie war eben damit fertig, als sie ein begeistertes Krähen in der Küche hörte. Sie hastete dorthin und stellte fest, daß Jessica schon auf die Küchenstühle klettern konnte. »Ich kann sie keine Minute aus den Augen lassen«, beklagte sie sich bei Elliot, der zuließ, daß seine Tochter ihm mit ihren kleinen Fäusten die Haare hochzwirbelte.
    »Aber sie fällt nie hin«, betonte er. Er machte sich von Jessica frei, warf sie lässig in die Luft und küßte sie, wenn seine Hände sie wieder auffingen. Jessica lachte. Margaret sah weg.
    »Sie fällt nie hin, weil ich immer da bin«, sagte Margaret leise. »Ich bin immer da, um sie aufzufangen. Das muß ich auch sein.«
    »Mach dir nicht so viele Sorgen«, sagte Elliot. »Bitte!«
    Nur ein anderer Mensch sah in Jessica das, was Margaret dort sah. Obwohl sie Margarets Mangel an Disziplin mißbilligte – als Jessica vier war, konnte niemand mehr leugnen, daß sie gründlich verzogen war –, paßte Elliots Mutter Mei genauso aufmerksam und ängstlich auf Jessica auf wie Margaret. Elliot sagte einmal zu Margaret, Mei hätte ihre natürlichen Ängste derart geschürt, daß sie nicht abgeklungen seien, wie es normal gewesen wäre. »Ihr schaukelt euch gegenseitig hoch«, sagte er, »und es gerät außer Kontrolle.« Das mußte er auch zu Mei gesagt haben, so daß sie Margaret gegenüber nie von ihren Ängsten sprach, sondern ab und zu mit Elliot flüsterte oder leise Chinesisch mit ihm redete. Sobald sie nach Hause gegangen war, bedrängte Margaret Elliot jedesmal, es zu übersetzen. »Kui khi«, sagte Mei häufig und mit vielsagender Betonung, und Elliot erklärte, es hieße bloß ›schwierig‹.

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