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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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ihrer winzigen Bude. Neben ihr drehte der Rentner die Trommel für die Dombaulotterie.
    »Vorsicht!« Um ein Haar hätte mich ein jugendlicher Rollschuhfahrer über den Haufen gerannt. Einige Punks lachten mich aus, und ich verdrückte mich zum Domhotel. Hätte ich es nicht getan! An einem der runden Tische saß (wie sollte es anders sein) meine jüngste Bekanntschaft, der Ewigkeitsvorführer.
    Er hatte mich schon gesehen und winkte heftig in meine Richtung. Ich überlegte einen Moment lang, ob ich noch die Flucht ergreifen konnte, aber meine hartnäckige Neugier lockte mich an seinen Tisch.
    »Guten Tag«, sagte ich schicksalsergeben und setzte mich. Die Kellnerin kam und nahm meine Bestellung auf. Mein Gegenüber, dessen Namen ich immer noch nicht kannte, begrüßte mich herzlich.
    »Schön, daß Sie doch noch gekommen sind. Ich dachte schon, Sie hätten mich vergessen.«
    Ich murmelte einige unverständliche Worte und wartete gehorsam auf die Enthüllung seiner Verrücktheit. Zunächst schien er jedoch geneigt, Konversation zu machen.
    »Sehen Sie sich diese Kirche an! Ein Meisterwerk der Gotik. Allein die beiden Türme sind schon jeden Pfennig wert, der jemals in den Bau gesteckt wurde.«
    »Ja, wunderbar«, antwortete ich.
    »Das klingt aber nicht sehr begeistert. Was glauben Sie, wie oft ich schon hinaufgestiegen bin?«
    Die Kellnerin brachte mein Bier, so brauchte ich ihm nicht zu antworten. Statt dessen nahm ich einen tiefen Schluck. Er schwieg für einen Moment.
    »Ich war lange nicht mehr oben«, stellte ich fest. »Der Aufstieg ist mir zu mühsam, und wenn ich oben bin, schaudere ich schon wieder vor dem Abstieg.«
    Das hatte genau den Punkt getroffen. Er sah mich mit herzlicher Anteilnahme an und sagte dann in einem völlig harmlosen Tonfall: »Sehen Sie, das erspare ich mir. Für gewöhnlich springe ich hinab.« Er lächelte freundlich.
    Um ein Haar hätte ich das gute Bier auf der hellblauen Tischdecke verschüttet. Ein Irrer! Dem Mann konnte nicht mehr geholfen werden, das war klar. In einer gewaltigen Anstrengung gelang es mir, die Contenance zu bewahren.
    »Aha, interessant«, sagte ich. »Und wie machen Sie das? Es kann doch nicht ganz ungefährlich sein, von da oben herabzusegeln, oder?«
    »Es ist harmlos«, antwortete er. An seinem gütigen Gesichtsausdruck erkannte ich, daß er mir wohl doch noch seine Lebensgeschichte nachliefern wollte. Und so kam es auch.
    »Es begann vor sieben Jahren«, hob er an. Gleich unterbrach er sich wieder. »Ich langweile Sie doch hoffentlich nicht!«
    »Nein, nein«, log ich. »Es wird gerade interessant.«
    »Nun gut. Also, wie ich schon sagte, begann alles vor sieben Jahren. Damals fuhr ich auf der Autobahn von Ahrweiler nach Köln. Sie kennen vielleicht die Ahrtalbrücke, eine landschaftlich reizvolle Strecke. Damals reizte sie mich wohl zu sehr, jedenfalls war ich einen kurzen Augenblick unkonzentriert und nicht ganz bei der Sache. Der Wagen brach aus, und ich krachte durch das Geländer. Sie werden es nicht glauben, aber kurz vor dem Aufschlag war plötzlich alles beim alten. Ich fuhr weiter auf der Straße, als wäre nichts geschehen.« Er hatte recht, ich glaubte es nicht.
    »Das verstörte mich eine Zeitlang«, fuhr er fort, »doch bald hatte ich die Erklärung. Nach einem weiteren Experiment – ich raste absichtlich gegen einen Brückenpfeiler – hatte ich den Beweis. Ich erkläre es mir so: Jeder Mensch lebt ewig.«
    Er sah mich an, als erwarte er einen Kommentar, aber ich war zu fasziniert von seinem offensichtlichen Wahnsinn, um antworten zu können. Statt dessen starrte ich ihn meinerseits an wie ein exotisches Museumsstück.
    »Ich sehe schon, das verwirrt Sie. Ich muß also weiter ausholen. Nach meiner Theorie gibt es eine unendliche Anzahl von parallelen Welten. Mit jedem Mal, wenn sich ein Mensch in tödlicher Gefahr befindet, schafft er ein neues Universum. Sein Bewußtsein rutscht im Reflex einfach in jene Alternative, wo ihm nichts passiert. Es ist alles ganz elementar.«
    Sherlock Holmes hätte das nicht schöner sagen können, und ich war gehörig beeindruckt. Wenn nicht …
    »Warum erinnern Sie sich denn an die Todesszenen, wenn es offensichtlich sonst niemand kann?«
    »Ganz einfach. Ich bin die berühmte Ausnahme von der Regel.«
    Es war tatsächlich einfach. Er war die Ausnahme. Allmählich gruselte es mich, und ich schob unauffällig den Stuhl zurück, um gegebenenfalls rascher die Flucht ergreifen zu können, falls er gewalttätig

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