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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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werden sollte. Gleichzeitig sehnte ich mich nach einem netten weißen Krankenwagen, der den Mann abtransportieren würde. Seine Flucht aus der Klapsmühle mußte doch längst bemerkt worden sein.
    »Die Sache ließ mir keine Ruhe«, sagte er versonnen. »Ich probierte einige Todesarten aus, vom simplen Vergiften bis zum komplizierten ostasiatischen Ritual, aber die hohen Gebäude brachten mir die größte Erfüllung. Ich ging auf Reisen. Erst sammelte ich alle deutschen Kathedralen und Hochhäuser, dann die internationalen. Einmal – ich war auf der Fahrt nach Paris und zum Eiffelturm – mußte ich mich unterwegs zweimal aus dem fahrenden Zug stürzen, um meine Gier zu dämpfen.
    Doch inzwischen bin ich etwas abgeklärter. Ich weiß jetzt, wo mein Platz ist: Hier in meiner Heimatstadt. Ich gehe jeden Nachmittag eine Weile auf der Domplatte spazieren, dann trinke ich hier eine Tasse Tee oder bei kaltem Wetter einen Grog. Anschließend steige ich auf den Turm und springe.«
    Er stieg auf den Turm und sprang! Es war wohl doch nicht das Klügste gewesen, auf leeren Magen Bier zu trinken; ich fror mit einemmal und fühlte mich unbehaglich.
    »Aber heute lassen Sie es bleiben, wie?« sagte ich mit gespielter Fröhlichkeit und ließ meinen Blick schweifen. Warum war denn kein Polizist in der Nähe! Nur die Punks lümmelten in einiger Entfernung herum und spielten mit ihren Ratten. Mein verrückter Freund sah auf die Uhr und stand auf.
    »Wo denken Sie hin? Es wird höchste Zeit, gleich wird der Aufgang geschlossen. Kommen Sie!«
    Wir hinterließen ein paar Münzen auf dem Tisch, und er lotste mich zum Dom hinüber. Verzweifelt suchte ich nach Gründen, die ihn von seinem Vorhaben abbringen könnten, doch er tat alles mit einem Lächeln ab.
    »Kommen Sie!« wiederholte er, und ich kam. Wir kauften zwei Karten, und mein Begleiter grüßte den Turmwächter wie einen alten Bekannten. Der Aufstieg war mehr als beschwerlich, doch er kletterte mit großen Schritten die abgewetzten Stufen hinauf. Bald war ich außer Atem.
    Auf der Plattform japste ich atemlos und hielt mich an der Mauer fest. Er grinste und schüttelte den Kopf.
    »Sie haben keine Kondition«, stellte er spöttisch fest. »Ein wenig Waldlauf täte Ihnen ganz gut.«
    Wir suchten uns eine stille Ecke, und er deutete mit dem Arm über die Stadt. Durch den feinen Dunst konnte man bis ins Vorgebirge und über das Bergische Land sehen. Als er zum Gitter hinüberging, wollte ich einen letzten Versuch machen, ihn zurückzuhalten, doch ich ließ es bleiben. Mit geübten Griffen hangelte er sich an den schmiedeeisernen Stäben empor und schwang sich hinüber. Er hatte sich das Jackett eingerissen, das kümmerte ihn nicht weiter.
    »Bisher war immer alles wieder in Ordnung, wenn ich unten ankam«, erläuterte er.
    Der Wind hatte aufgefrischt und fuhr in seine Kleider, als er sich zwischen den Fialen und dem Maßwerk hindurchzwängte. Er winkte mir noch einmal zu, dann stieß er sich kräftig ab.
    Einen Augenblick schien ihn der Wind zu halten, dann fiel er wie ein Stein. Sein fröhliches Lachen verklang in der Tiefe. Ich schloß die Augen und lehnte mich an den sicheren, kühlen Stein. Nach mehreren Minuten ging ich ans Geländer und schaute hinab. Unten liefen Menschen zusammen, Ameisen gleich, und in der Ferne tönte penetrant ein elektronisches Martinshorn.
    Ich drehte mich um und begann den Abstieg.
    Seit diesem Tag lasse ich mich nicht mehr von jedem hergelaufenen Fremden anquatschen. Überhaupt gehe ich jetzt seltener zu Gartenfesten.
     
    Copyright © 1988 by Hans Altmeyer

 
Karen Joy Fowler
Das Geistertor
     
    »Von China hab’ ich zum erstenmal etwas gehört«, sagte Margaret, »als ich noch so ein kleines Mädchen war wie du. Damals hab’ ich mir vorgestellt, da wäre alles ganz zerbrechlich.« Während sie sprach, goß sie aus einem blauen Plastikbecher mit Jessicas Namen einen Strom Milch über die Cheerios, Jessicas Frühstücksflocken.
    Elliot war spät dran zu seinem Seminar. Er stellte sein Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine und stürzte den letzten Rest Kaffee eilig hinunter. »Sehr logisch«, sagte er. »Fragt sich nur, was für ein Bild du dir anfangs von der Türkei gemacht haben mußt.«
    »Wahrscheinlich würde ich mich nicht mal daran erinnern«, erwiderte Margaret, »wenn ich nicht ein paar Jahre später so einen Schock gekriegt hätte, als ich Der Zauberer von Oz las. Dorothy klettert über eine große Mauer in eine Welt, wo alle Leute

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