Wassermans Roboter
einfach liegen, als er sah, daß sie kaputt war. Aber mein Vater nahm sie mit und schenkte sie meiner Mutter, und die hat sie ihr ganzes Leben lang behalten.«
»Das finde ich albern«, sagte Jessica. Sie interessierte sich jetzt mehr für die Halskette, wo sie wußte, daß sie eines Tages ihr gehören sollte, und sie war auch ein bißchen böse mit ihrer Mutter, die nicht aufgepaßt und sie verloren hatte. Sie wollte weg und weitersuchen, und ihr Ärger wuchs, als ihre Mutter darauf bestand, daß sie dableiben und erst ihre Cheerios aufessen sollte. Jessica nahm einen großen Löffelvoll, wobei sie viele der schwimmenden runden Dinge jagte und einfing. Sie kaute und fragte sich, ob ihre Mutter ihr erlauben würde, die Schachtel in eine Schüssel auszuleeren, damit sie die Beigabe fand, wenn sie ganz vorsichtig war und alle Cheerios wieder zurückkippte, ohne welche danebenzuschütten.
»Gehst du zu deinem anderen Ort, wenn du hier unglücklich bist?« wollte ihr Mutter wissen, und Jessica mußte einige Cheerios hinunterschlucken, um antworten zu können.
»Nein. Ich gehe einfach hin, wenn ich Lust habe.«
»Hast du das Gefühl, daß du anders bist als andere Kinder?«
»Wieso?« fragte Jessica.
»Ich weiß nicht. Hast du das Gefühl, daß du anders aussiehst oder andere Sachen magst oder daß andere Kinder dich nicht mögen? Dein Erzieher sagt, du bist sehr still im Kindergarten. Das sieht dir gar nicht ähnlich.«
»Jeder ist auf seine Weise was Besonderes.« Das hatte Jessica von Mr. Rogers gelernt. Sie sagte es mit entsprechender Autorität.
»Aber manchmal kann es schwer sein, wenn man anders oder sogar was Besonderes ist. Manchmal geht es den Menschen dann ganz schlecht. Ist das bei dir auch schon mal so gewesen?«
»Nein«, sagte Jessica. Sie rührte mit ihrem Löffel in der Schüssel und sah zu, wie sich die Cheerios in den Strömungen drehten, die sie erzeugte. Bei Paw-Paw war man mit dem Essen fertig, wenn der Teller leer war. Bei ihrer Mutter ging es eher darum, wie lange man stillgesessen hatte. Ihre Mutter würde bald zufrieden sein und sie weglassen, damit sie die Halskette suchen konnte. Die Cheerios waren bereits matschig, und es bestand wirklich keine Notwendigkeit, sie zu essen. »Bin ich anders?« fragte Jessica.
»Du hast den anderen Ort. Das ist anders.«
»Viele Kinder haben Phantasiewelten«, rief Jessica ihr ins Gedächtnis. Obwohl sie eigentlich nicht genau wußte, was mit einer Phantasiewelt gemeint war. Sie dachte, es wäre vielleicht wie im Fernsehen, wenn die Kinder zuerst so tun, als wären sie auf einem Boot im Ozean, und dann sind sie es wirklich, und sie haben andere Sachen an und ihre Stofftiere können sprechen. Was mit dem anderen Ort nicht sonderlich viel zu tun hatte. Bei dem anderen Ort tat man nicht so, als ob.
»Paw-Paw meinte, daß dich gestern abend etwas erschreckt hat«, sagte ihre Mutter zu ihr. Sie sprach langsam und vorsichtig. Ihre Mutter wollte, daß Jessica sich an etwas erinnerte, was sie zu vergessen versucht hatte.
»Kann ich Toast haben?« fragte Jessica.
»Was hat dich erschreckt?«
Jessica legte den Löffel hin und stieß die Schüssel weg. »Ich will das nicht mehr essen.« Es war ein bewußter Versuch, das Thema zu wechseln; es sollte ihre Mutter wütend machen.
»Was hat dich erschreckt, Jessica?«
Jessica stieß den Löffel mit dem Ellbogen vom Tisch. Er fiel klirrend auf den Boden. Sie rutschte auf ihrem Stuhl immer tiefer nach unten, bis ihre Mutter unter dem Horizont der Tischplatte verschwand. Jessica glitt ganz vom Stuhl und setzte sich neben den Löffel unter den Tisch. Aus diesem Blickwinkel war die Maserung des Holzes rauh. Es war, als säße man in einer Schachtel. »Ich will nicht drüber reden«, sagte Jessica zu den Schuhen ihrer Mutter. Es waren weiche graue Hausschuhe mit pinkfarbenen Sternchen – Kinderschuhe, nur daß sie so groß waren.
Ihre Mutter rutschte nach vorn; ihre Knie näherten sich Jessicas Gesicht und entfernten sich wieder, und dann saß ihre Mutter mit gekreuzten Beinen neben ihr auf dem Boden unter dem Tisch. Sie mußte sich ein bißchen ducken, damit sie darunterpaßte. »Es ist mir wirklich wichtig, daß du mir etwas darüber erzählst, Liebling«, sagte sie. »Ich muß unbedingt wissen, was passiert ist.«
Jessica wandte den Blick ab. »Ich bin zum anderen Ort gegangen«, sagte sie. »Und dann konnte ich nicht mehr zurück. Ich dachte, ich würde dich oder Daddy oder Paw-Paw nie mehr wiedersehen. Das
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