Wassermans Roboter
waren, daß sie ihm Kiemen schenkten. Sie verwandelten ihn und seine Tochter in wunderschöne Fische und versteckten das kleine Mädchen auf diese Weise vor seinem Schicksal. Vater und Tochter blieben unter Wasser zusammen und lebten lange und glücklich in den Wassergräsern und den Wellen. Und da sie früher Menschen gewesen waren, waren sie natürlich zu schlau, um sich je fangen zu lassen.«
»Ich wäre gern ein Fisch«, sagte Jessica.
»Das ist ein sorgenfreies Leben«, stimmte Mei zu. »Man muß nur auf größere Fische aufpassen. Natürlich gibt’s da keine Eiskrem. Und keine ›Sesamstraße‹. Aber man kann nach Herzenslust schwimmen.«
Jessica schnitt ein Gesicht. »Man muß ans Unterwasserleben angepaßt sein«, fügte Mei hinzu. »Der Fischer und seine Tochter mußten zuerst verwandelt werden.«
»Damit sie atmen konnten«, sagte Jessica.
»Damit sie glücklich sein konnten. Für sie hatte die Oberwelt aus harter Arbeit, Kummer und Trennung bestanden. Für dich besteht sie aus dem Park, und daß du die einzige Vierjährige bist, die sich auf der Schaukel alleine abstoßen kann. Sie besteht aus der Schule und der Möglichkeit, zu malen. Sie besteht aus all den Menschen, die dich liebhaben – deine Mutter und dein Vater und ich. Du bleibst lieber hier, glaube ich.«
»Manchmal«, sagte Jessica. »Manchmal schon.«
Mei brachte Jessica ins Bett, was mit etlichen Gängen ins Bad und immer noch einem Schluck Wasser und Licht an im Wandschrank und aus im Zimmer und dann Licht aus im Wandschrank und an im Flur und einer langen Debatte verbunden war, welches Stofftier heute nacht bei Jessica schlafen durfte, einer Debatte, in deren Verlauf Jessica ihre Meinung mehrere Male änderte. Es war ein ermüdender Prozeß, und Mei war froh, daß sie es nicht täglich zu tun brauchte. Vielleicht eine halbe Stunde nach dem letzten Wunsch hörte Mei Jessica gellend schreien.
Sie lief ins Schlafzimmer und legte die Arme um Jessica, die aufrecht dasaß und weinte. Jessicas Herz schlug so schnell wie das eines Vogels. Es flog davon. Jessica fühlte sich kalt an.
Ein Kind konnte sich so erschrecken, daß ihm die Seele aus dem Leib sprang. Möglicherweise kehrte sie sofort zu ihm zurück. Es konnte aber auch sein, daß sich ein Geist ihrer bemächtigte. Mei erinnerte sich nicht an den Jungen oder an den Vorfall, sie wußte nur noch, wie die Erwachsenen sich darüber unterhalten hatten. Der Junge war von einem Feuerwerk erschreckt worden. Seine Eltern waren zu einem taoistischen Priester gegangen, der sich mit der Geisterwelt in Verbindung setzte und versuchte, um die Seele des Jungen zu handeln. Die Eltern waren auch zu einem westlich orientierten Arzt gegangen. Beide hatten viel Geld verlangt, und keiner von beiden hatte geholfen. Schließlich war der kleine Junge gestorben. Mei hielt Jessica fest und rieb ihr die Arme, um sie zu wärmen. Sie rief Jessicas Seele zurück, und sie kam. »Paw-Paw«, sagte Jessica immer noch weinend, »ich hatte Angst.«
»Es war ein Traum«, sagte Mei.
»Nein.«
So kurz danach zurückzukehren, wenn auch nur in der Erinnerung, war gefährlich. »Sprich nicht darüber«, warnte Mei. »Noch nicht.« Sie trug Jessica in den Armen zur Couch hinaus, wo sie saß, hielt sie fest und wiegte sie. Jessica schlief ein, und Mei machte immer noch weiter.
Stunden später kamen Margaret und Elliot zurück. »Warum ist Jessica nicht im Bett?« fragte Margaret. »Hat sie dir Schwierigkeiten gemacht, Paw-Paw?« Elliot nahm seiner Mutter das kleine Mädchen ab. Jessica lag schlaff in seinen Armen. Ihr Kopf fiel nach hinten; ihr Mund öffnete sich. Elliot trug sie in ihr Zimmer.
»Sie hat sich erschreckt«, sagte Mei, »schlimm erschreckt.«
»Wodurch?«
Mei sah auf ihre Hände, die in ihrem leeren Schoß ruhten, und antwortete nicht.
»Wodurch?« wiederholte Margaret.
»Ein Alptraum?« fragte Elliot. Er war zurückgekommen und stand in der Tür. »Ich hatte öfters Alpträume, als ich klein war. Weißt du noch, Mutter? Manchmal jede Nacht.«
»Ja, ich weiß«, sagte Mei. »Das war kein Alptraum.« Sie blickte Elliot an. Das Licht im Flur beleuchtete ihn von hinten. Er war ein Schatten. Mei sprach zum Schatten ihres Sohnes. »Kui mia«, sagte sie.
»Was heißt das?« fragte Margaret.
»Verzogen«, sagte Elliot rasch. »Es heißt verzogen.«
»Nein«, sagte Mei. Sie konnte Elliots Gesicht nicht sehen, und es war ihr sowieso gleichgültig. Schön, er hatte einen Doktortitel in Genetik und eine
Weitere Kostenlose Bücher