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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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kaukasische Frau. Hieß das, daß er über andere Welten Bescheid wußte? Mei kannte sich in Elliots Welt sehr gut aus. Sie hatte ihr ganzes Leben als Erwachsene in ihr gearbeitet; auf ihre eigene Art glaubte sie an sie. Aber sie sah, was Elliot nie zugeben würde: daß sie ihre Grenzen hatte. Der Arzt erklärte einem, wenn man seinen Mann dazu bringen konnte, das Rauchen aufzugeben, würde er vielleicht hundert Jahre alt werden, und dann klopfte er mit den Knöcheln dreimal auf die Schreibtischplatte und sagte »toi-toi-toi«. Die Tochter bekam einen Job bei einer großen Computerfirma. Sie nahm einen mit, weil man sich das neue Bürogebäude anschauen sollte, das die Firma für ihren kalifornischen Zweig gebaut hatte, und es gab dort keinen dreizehnten Stock. Das Space Shuttle startete neunmal, und alles ging wie geschmiert, bis es explodierte und sieben Menschen zu Gott schickte.
    Das Zuhause und besonders die Familie war eine andere Welt. Je näher man seinem eigenen Herzen kam, desto weniger rational wurden die Regeln. Was die eigene Familie anging, so gab man nicht einer Welt den Vorzug vor anderen. Für die eigene Familie tat man alles, alles was man konnte. Mei wußte, daß Elliot das nicht verstehen würde. Sie sah Elliot an und redete mit Margaret. »Es heißt bedroht«, sagte Mei. »Es heißt verletzlich. Das kui mia-Kind hat ein gefährliches Schicksal.« Sie spürte, wie Margaret sie ansah. Sie bildeten eine Art von Dreieck; sie sah Elliot an, Elliot sah Margaret an und Margaret sie.
    »Sprechen wir morgen früh darüber«, sagte Elliot. »Ich bring dich jetzt besser nach Hause, Mutter.« Er langte in die Tasche, suchte nach den Wagenschlüsseln und ließ den Ring über den Finger gleiten.
    »Ihr könnt etwas unternehmen«, sagte Mei. »Ihr solltet zu einem Wahrsager gehen. Ich würde es bezahlen.«
    »Und ich kann dir jetzt schon sagen, was für einen Rat wir bekommen würden«, erwiderte Elliot. »Nehmt das Kind nicht zu Hochzeiten mit. Laßt es nur Trockenmilch trinken. Lockert seine Bindungen – es soll zu seiner Mutter ›Tante‹ und zu seinem Vater ›Onkel‹ sagen. Monströse Belanglosigkeiten, die Jessica nur aufregen und verwirren würden. Jessica ist ein gescheites und hübsches und normales kleines Mädchen, aber wenn ich das zuließe, dann, glaube ich, würde sie tatsächlich Probleme kriegen. Tut mir leid, Mutter. Ich kann das nicht machen.«
    Mei sah Margaret an, die den Anhänger ihrer Halskette zwischen den Fingerspitzen hielt und ihn hin und her drehte. Als Margaret mit Jessica schwanger gewesen war, hatte sie ihr oft erzählt, daß sie wieder arbeiten gehen wollte, wenn das Baby da wäre. Und dann kam Jessica, und das Thema wurde fallengelassen. Mei hatte Margaret niemals Fragen darüber gestellt, weil sie es voll und ganz verstand. Bei einem anderen Baby wäre Margaret wieder arbeiten gegangen, wie sie es vorgehabt hatte. Aber ein kui mia-Kind vertraut man keiner Tagesmutter an.
    »Ich werde selbst zu einem Wahrsager gehen«, sagte Mei. Elliot klimperte mit den Wagenschlüsseln, und Mei stand auf. »Das kann nichts schaden. Ich werde euch sagen, wie sein Rat lautet, und dann könnt ihr entscheiden, ob ihr ihn annehmen wollt oder nicht.« Sie ging zur Tür, wo sie ihre Schuhe stehengelassen hatte, und schlüpfte hinein. Sie wandte sich noch einmal an Margaret. »Das Kind muß beschützt werden«, sagte sie. »Ihr anderer Ort ist die Geisterwelt.«
    »Ihr anderer Ort ist der Tod«, sagte Margaret leise. Ihr Gesicht war angespannt und blaß. Sie ließ den Anhänger los; er fiel schwer gegen ihren Hals.
    »Viele Kinder haben Phantasiewelten«, sagte Elliot. »Meiner Meinung nach macht ihr euch ganz umsonst Sorgen.«
     
    Jessica wachte am Morgen auf, als das Sonnenlicht von der Schlafzimmerwand herabwanderte und über ihr Gesicht glitt. Das Haus war still; die Tür zu ihrem Schlafzimmer war zu. Das gefiel ihr nicht. Ohne das Licht im Flur konnte sie abends nicht einschlafen, aber ihre Eltern machten immer das Licht aus und die Tür zu, wenn sie ins Bett gingen, weil die Feuerwehr ihnen erklärt hatte, es sei sicherer, bei geschlossenen Türen zu schlafen. Jessica empfand es nicht als sicherer.
    In ihrem Rücken war ein Knubbel, der sich als Beatrice entpuppte, die graue Stoffmaus mit den Perlenaugen, mit der Jessica eingeschlafen war. Jessica zog Beatrice unter sich heraus und warf sie auf den Boden. Sie blieb noch ein paar Minuten lang still liegen und versuchte zu erraten, ob ihre

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