Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
ist mir noch nie passiert.« Jessica tat ihr Bestes, darüber zu reden, ohne sich wirklich daran zu erinnern. Sie wollte das Gefühl nicht noch einmal erleben. »Ich hatte Angst«, konstatierte sie als schlichte Tatsache. »Schließlich hab’ ich gehört, wie Paw-Paw mich rief, und dann wußte ich, wo sie war, und konnte wieder raus. Paw-Paw hat mich auf der Couch schlafen lassen.«
    Ihre Mutter nahm Jessicas Gesicht in ihre Hände; sie drückte ein bißchen zu fest zu. Jessica ließ ihren Mund ganz aus den Fugen gehen, wie bei einem Fisch, aber ihre Mutter lachte nicht.
    »Du darfst nie wieder dahin gehen«, sagte ihre Mutter.
    »So ist es vorher noch nie gewesen.«
    »Trotzdem. Es ist zu riskant. Was wäre, wenn Paw-Paw dich nicht gefunden hätte? Ich könnte es nicht ertragen. Bitte, Jessica. Versprich mir, daß du da nicht mehr hingehst!«
    Ihre Mutter starrte sie ganz unglücklich an. Jessica fühlte sich unbehaglich. »Okay«, sagte sie, »ich tu’s nicht mehr.«
    »Versprich’s mir!«
    »Ich versprech’s.« Jessica überlegte, ob es ihr damit Ernst war. Nein, entschied sie. Sie würde nur nie wieder nachts dorthin gehen. Bei Nacht war jede Welt furchteinflößend. »Kann ich jetzt meine Halskette suchen?« Ihre Mutter ließ sie deutlich widerstrebend los. Jessica faßte das als Antwort auf. Sie krabbelte zwischen die Stühle und stand auf. Ihre Mutter bewegte sich nicht. »Ich zieh’ mir vorher die Schuhe an«, sagte Jessica. Es war eine versöhnliche Geste. Sie rannte über den Flur und in ihr Zimmer. Die Vorhänge wehten zu ihr hin, als sie die Tür aufmachte. Sie knallte sie zu, damit sie noch mal wehten. Ihr Knie tat um die verschorfte Stelle herum weh, die sie sich vor zwei Tagen im Park zugezogen hatte, als sie mitten im Schwung von der Schaukel gesprungen war. Jessica rollte ihr Hosenbein hoch und pulte den Schorf ab. Es blutete. Sie sollte es ihrer Mutter zeigen. Ihre Mutter würde es wissen wollen. Aber ihre Mutter war schon traurig. Jessica beschloß, zuerst die Halskette zu finden. Dann würde ihre Mutter glücklich sein, und Jessica würde ein Pflaster kriegen. Jessica ging in das Zimmer ihrer Eltern.
    Der Bettvorleger war leer. Auf dem Bettvorleger in Jessicas Zimmer lagen Puzzleteile und Bücher und dreckige Socken und Legosteine und Blätter aus dem Kindergarten und eine Muschelschale vom Strand, in der man den Ozean höre, wie man ihr immer wieder sagte, in Wirklichkeit aber gar nicht hören konnte, und ein Teddybär mit einem zugeklebten Auge, so daß er dauernd zwinkerte, und Drachenleine, aber kein Drachen, der war in den Himmel geflogen und verschwunden. In Jessicas Zimmer würde man nur schwer eine Halskette finden. Hier mußte es leicht sein.
    Jessica legte sich auf den Bauch und sah sich um. Sie preßte ihr Kinn in den kleinen Teppich; der Flor war wie Gras. In dem Teppich war eine komplette andere Welt, jetzt, wo sie dicht genug dran war, um sie zu sehen. Vielleicht lebten da Käfer oder Gerüche, wie sie in den Werbespots behaupteten. Kleine Geschöpfe, die ihre Wohnungen an den Wurzeln des Flors bauten, so daß der Teppich über ihren Köpfen aufragte wie Wald und Jessica sie nicht sah. Geschöpfe, die vom Staubsauger aufgesaugt wurden, das wäre schrecklich.
    Sie konnte die Halskette nicht finden. Sie suchte im Wandschrank und am Bett und an der Tür zum Badezimmer ihrer Eltern – ein Badezimmer, in dem es keine Badewanne gab wie in ihrem, sondern nur eine Dusche und eine Toilette. Jessica fiel nur noch ein Ort ein, wo sie nachschauen konnte. Sie zwängte sich durch und hinein.
    Heute war er von einem so heftigen und schnellen Wind erfüllt, daß dieser sie auf der Stelle mit sich fortriß. Jessica lachte, als sie merkte, daß sie flog. Der Wind hob ihr die Haare vom Hals und hielt sie über ihrem Kopf in der Luft. Er wirbelte sie herum und herum, höher und höher. Die Landschaftsformen veränderten sich, als Jessica immer schneller wurde – gerade Linien krümmten sich und fächerten sich auf, geschlossene Mauern öffneten sich wie Fenster. Und dann war Jessica zu schnell, um überhaupt noch Formen sehen zu können. Sie verwandelten sich in Farbringe, die sie umschlossen; Dinge, die sich vorher an bestimmten Stellen befunden hatten, wurden jetzt zu endlosen Bändern, deren Anfang und Ende ineinander verschmolzen. Jessica unternahm keinen Versuch, ihre Höhe oder ihre Geschwindigkeit zu kontrollieren. Sie machte sich ganz weich und ließ sich einfach mitnehmen.
    Sie glaubte

Weitere Kostenlose Bücher