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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Schmerzen eines anderen wahrnehmen, als würde sie jemanden anschauen, der unter Schmerzen litt, und wissen, wie sich diese Schmerzen anfühlten. Ihr Körper war schwer und träge gewesen, ihr Atem war langsamer geworden und ins Stocken gekommen, doch das hatte sie nicht weiter gestört. In ihrer Kehle hatte es gepfiffen, und in ihrer Brust hatte sie einen Druck verspürt, doch auch dies war kein Schmerz gewesen, sondern war dem Druck in ihrem Kopf ähnlich.
    »Sybillia?« hatte die Stimme in ihrem Geist geflüstert. »Sybillia? Ist es möglich …?«
    »Großvater?« hatte Sybillia geantwortet. »Großvater, bist du es in meinem Traum?«
    Sie hatte gewußt, daß er es war, sie hatte gefühlt, wie er sich in seinem Gummisitz bewegte, sie hatte das Ticken des Apparats in seinem Brustkasten gespürt, das sachte Tröpfeln der Flüssigkeiten, die durch die Nadeln in seine Arme rannen. Und draußen hatte sie die Venus gesehen, einen umflorten Ball. Großvater war dort, das wußte sie. Er hatte den Mars besucht und wollte nun zur Venus. Nur merkwürdig, daß sie das sehen konnte … Nein, Großvater sah es, und in ihrem Traum schaute sie durch seine Augen.
    »Die dritte Generation«, hatte die Stimme geflüstert, »so weit weg von mir und doch so nah …«
    »Wo bist du, Großvater?« hatte Sybillia in ihrem Traum gefragt. »Ich höre dich. Wie ist das möglich? Was für eine Art von Traum ist das?«
    »Ein sehr wichtiger Traum, Sybillia«, hatte Großvater geantwortet. »Du mußt es Ludwig erzählen, sofort … Dein Vater weiß, was dieser Traum bedeutet. Dein Vater soll erfahren, daß mein Projekt … nicht vergeblich war.«
    »Du hast Schmerzen, Großvater!« hatte Sybillia in ihrem Traum gerufen.
    Ihre Gedanken waren wie von einem Nebel umgeben, doch das Bewußtsein des Schmerzes war da. Großvater war immer nett zu ihr gewesen, und Sybillia wollte nicht, daß er jetzt Schmerzen hatte. Doch dann hatte sich der Traum zurückgezogen, als ob Großvater sich bewußt von ihr entfernt hätte. Die Sterne waren verblichen, und andere waren an ihre Stelle getreten. Der Traum war übergangslos vom Wachzustand abgelöst worden. Doch sie hatte gewußt, daß Großvater tot war.
     
    Er war in seinem Raumschiff gestorben, irgendwo weit weg im All, und während er im Sterben gelegen hatte, war er auf eine sehr merkwürdige Weise in einem Wachtraum zu ihr gekommen. Sie war aufgestanden und hatte es Vater und Mutter erzählt, aber die hatten es nicht glauben wollen. Erst später hatten sie ihr sehr viele Fragen gestellt, doch auf die hatte Sybillia nicht antworten können. Dann hatten sie ihr geglaubt, zumindest Vater. Er hatte gesagt, sie müsse ihm erzählen, wenn sie noch einmal solche »Wachträume« hätte, doch das konnte Sybillia nicht, denn es war zu schwer, zwischen dem zu unterscheiden, was ihr Vater »Wachtraum« genannt hatte (Sybillia nannte es Todestraum) und den »Worten, die nicht gesprochen wurden«. Denn manchmal kam Vater selbst darin vor, und das konnte sie ihm doch nicht erzählen. Auch die »Worte, die nicht gesprochen wurden«, kamen wie Träume. Manchmal tauchten sie plötzlich in ihren Gedanken auf, und dann wußte sie nie, ob sie selbst dies irgendwann erlebt hatte oder ob es aus einem der »Träume« stammte – so wie damals, als Vater so wütend auf Großvater gewesen war …
     
    Großvater saß in seinem Rollstuhl. Er hatte die Hände auf dem Schoß gefaltet und war ganz ruhig. Vater schrie ihn an.
    »Sieh nur, was du uns angetan hast! Autistisch, verdammt! Sie ist anormal!«
    »Es ist nicht bewiesen, daß die Droge die Ursache ist, Ludwig«, antwortete der Großvater. »Du kannst mir nicht die Schuld dafür geben …«
    »Rede mir nicht von Schuld!« brüllte Vater. »Was sonst sollte der Grund dafür sein, wenn nicht die Genmanipulation? Was soll ich Marleen nur sagen?«
    »Du brauchst nichts zu erklären«, sagte Großvater. »Wir müssen die Dinge nehmen, wie sie sind. Es kann … hör gut zu, ich sage nur, es kann ein Nebeneffekt sein, doch das können wir behandeln – mit Injektionen. Du hast auch das Psychoprofil und die medizinischen Dossiers gesehen. Es liegen tatsächlich Abweichungen in den DNA-Ketten vor. Die müssen wir durch Injektionen verstärken. Die Genveränderungen zielen auf Kommunikation hin, auf eine Öffnung des Geistes. Ich sage dir doch, daß es ein Prozeß über Generationen ist. Möglicherweise ist dies nun eine Reaktion darauf, eine automatische Abwehr des menschlichen

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