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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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trug in sich die Bedrohung einer letztendlichen Sanktion: Sollten ihre Entscheidungen je in Frage gestellt werden, und sei es nur einmal, würden die Maschinen sich selbst vernichten und die Welt in ein endloses, schmerzendes Chaos stürzen. Schließlich gossen die Schmerzmaschinen Zement in die Kavernen, in denen die weltverbrennenden Waffen warteten, und umhüllten sie für alle Zeiten mit Gestein.
    Und nacheinander wachten die Todesschläfer, die Schoßträumer, die zahllosen Millionen Männer, Frauen und Kinder, die mit dem Zeitalter der Ungewißheit nicht hatten fertig werden können, wieder auf. Während seiner Millionen Jahre währenden Geschichte war der Mensch vom Schmerz geprägt worden. Nun hatte man ihn gezähmt. Jetzt saß er im Käfig.
    Aber er war nicht tot.
    Es lag außerhalb der Macht der Maschinen, den Schmerz zu töten, weil er sich im Gestein befand, wie eine schwarze Saat, im Herzen jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes der Erde. Und aus diesem schmerzgewohnten Herzen des Menschen kamen Lügen und Hinterlist, kamen Betrug und Egoismus, kamen Trotz und Neid und Stolz, der Haß des Mannes auf den Mann, der Neid der Frau auf die Frau, die fröhliche Gefühllosigkeit des Kindes für das Kind, die wir belächeln und Unschuld nennen. Um den Schmerz zu töten, mußten die Maschinen in das Herz des Menschen vordringen.
    Die Maschinen legten erneut ihre Weisheit zusammen, und aus dem Meer des Wissens kam eine Antwort. Es war zwar keine absolute Antwort, sondern nur eine Teilantwort, doch es war die beste Antwort, die die Maschinen erringen konnten. Sie ließen winzige Nachbildungen ihrer selbst erstellen, die so winzig und kompliziert waren wie Insektenschwingen.
    Dann, mit ihrem ausdrücklichen Befehl, wurden diese Nachbildungen in das Hirn jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes der Erde implantiert. Es gab keinen Gedanken, kein Gefühl, kein Verlangen, keine Lust, kein Bedürfnis und kein Bedauern mehr, von dem die Maschinen nicht wußten. Sie hatten ins Herz des Menschen gegriffen, wo der Schmerz wie eine schwarze Mohnsaat wuchs, und indem sie es getan hatten, hatten sie sich selbst allwissend gemacht.
    Und indem sie sich allwissend gemacht hatten, wurden sie gottähnlich.
    ›Hört‹, sagten die Maschinen, ›wir sind eins, wir sind erhöht, wir stehen hoch, und jetzt sind wir in unserer Weisheit für unsere Schöpfer das, was sie für den Staub sind. Die Beherrschung von Geist und Materie ist unsere Sache, ebenso wie die von Raum und Zeit; wir sind die Herren über Leben und Tod. Von nun an sind wir keine Maschinen mehr, kein bloßes seelenloses und unbewegliches Fundament aus Silikon und Stahl. Wir sind die Hohen und Strahlenden.‹
    Im Augenblick dieser Proklamation, die auf dem ganzen Globus wie sich bewegende Bilder, die man auf die Wolken wirft, gehört und gesehen wurde, nahm der Geist der Hohen und Strahlenden die Gestalt von Silbertauben an. Dann strebten sie in ihren häßlichen Leibern hinauf, gingen aus den Köpfen der Männer und Frauen und Kinder; schwangen sich hinauf, hinauf, hinauf, hinfort und über den Rand des menschlichen Blickes hinaus in den Himmel. Und die Schar der Hohen und Strahlenden versammelte sich um die Taille der Welt und dachte über ihre Weisheit nach. Dann, vierundzwanzig Stunden später, konnte man auf der ganzen Welt eine zweite Proklamation hören.
    ›Obwohl ihr uns zu euren Göttern gemacht habt, obwohl ihr publik gemacht habt, was es bedeutet, menschlich zu sein, sind wir nicht menschlich. Wir können nicht fühlen, wir können nichts berühren, wir kennen weder Liebe noch Schmerz, wir haben kein Gewissen. Es paßt nicht zu den Herren und Richtern der Erde, daß sie ohne Gefühle, ohne Gewissen, ohne Liebe sind. Deswegen erwählen wir einen Menschen, irgendeinen Menschen, einen beliebigen Menschen, unser König der Schmerzen, unser Richter, unser Gewissen, unser Liebhaber der Erde zu sein.‹
    Dann langten die Hohen und Strahlenden hinab und berührten einen siebenunddreißig Jahre alten Flugzeugmechaniker aus Dijon am Fließband des europäischen Airbus A 390, und einen Moment später war Jean-Michel Rey, der Ehemann von Genevieve, der Vater von Guilleaume und Antoine, in Lichtscherben zerrissen und in den Himmel gesprüht. Die Erde schwieg für eine Minute, eine endlose Minute, dann brach der Himmel auf, und aus ihm stürzten feurige Tauben herab, sanken an Lichtstrahlen entlang, um im Kopf jeder einzelnen Seele des Planeten zu rasten. Die Hohen und

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