Wassermans Roboter

dir erklärt, daß es zwei verschiedene Dinge sind. Du fällst harte Urteile, Cyborg. Starrsinn ist normal bei einer Maschine, eine so feine, ausgeprägte moralische Empfindsamkeit ist jedoch überraschend.«
    »Nur mein Körper ist eine Maschine«, sagte er.
    Ich nahm seine Akte auf. »Da bin ich anderer Meinung«, sagte ich. »Wo bleibt deine Moral, was das Lügen betrifft? Besonders bei einer so durchschaubaren Lüge?« Ich legte die Akte flach aufgeschlagen auf den Tisch.
    »Meine Apostel haben mir einige interessante Informationen geliefert. Du warst übrigens außerordentlich kooperativ.«
    »Wenn man beim Seelenspiel mitspielen will, darf man die Herrin des Schmerzes nicht vor den Kopf stoßen«, sagte er.
    Ich lächelte. »Ich bin nicht so leicht vor den Kopf zu stoßen, wie du vielleicht glauben magst.« Ich blätterte die Berichte durch. »Doktor Lügmann hat ein komplettes Raster von dir erstellt. Er bezeichnet dich als hochintelligente Konstruktion. Die aus nichts anderem als Plastik und Metall besteht. Es gibt keinen einzigen organischen Bestandteil mehr in dir, Cyborg. Oder sollte ich dich Roboter nennen? Ich frage mich, ob Computer überhaupt in der Lage sind, das Seelenspiel zu spielen. Wir werden es ohne Zweifel herausfinden. Du bist mit drei Computern ausgestattet, wie ich sehe. Einem kleinen an der Stelle, wo das Gehirn sitzen sollte, der für die Bewegungsfunktionen, Sinneswahrnehmungen und die Kontrolle der inneren Abläufe zuständig ist, einer entschieden umfangreicheren Speichereinheit, die den größten Teil deines unteren Torsos ausfüllt, und einem Urkristall in deiner Brust.« Ich blickte auf. »Dein Herz, Cyborg?«
    »Mein Geist«, antwortete er. »Frag deinen Doktor Lügmann, er wird dir von ähnlichen Fällen berichten. Was ist der menschliche Geist? Erinnerungen. Erinnerungen sind Daten. Charakter, Persönlichkeit, individuelle Willenskraft. Das alles ist programmiert. Es ist möglich, den ganzen menschlichen Geist und auch die Seele vollständig in dem Urkristall-Computer unterzubringen.«
    »Die Seele eingefangen im Kristall?« fragte ich. »Glaubst du überhaupt an die Seele?«
    »Glaubst du daran?« wollte er seinerseits wissen.
    »Ich muß daran glauben. Ich bin die Meisterin des Seelenspiels. Es wird von mir verlangt.« Ich wandte mich den anderen Berichten zu, die meine Apostel über diese Konstruktion zusammengetragen hatten, die sich selbst Kleronomas nannte. »Gottesgrün-9 hat einen Interface-Test mit dir gemacht. Er sagt, daß du ein System von höchster Intelligenz besitzt, daß die Geschwindigkeit deines Schaltsystems die der menschlichen Gedanken bei weitem überschreitet, daß dein gespeichertes Wissen entschieden umfangreicher an verfügbarer Information ist, als es bei einem einzelnen organischen Gehirn je der Fall sein könnte, selbst wenn es seine Kapazität bis aufs letzte ausnützen würde, und daß der Geist und die Erinnerungen, die in diesem Urkristall eingeschlossen sind, die eines Joachim Kleronomas sind. Das schwört er.«
    Der Cyborg antwortete nicht. Vielleicht hätte er in diesem Moment gelächelt, wenn er die Fähigkeit dazu gehabt hätte.
    »Andererseits«, fuhr ich fort, »versichert mir meine Gelehrte Alta-k-Nahr, daß Kleronomas seit siebenhundert Jahren tot ist. Wem soll ich glauben?«
    »Wem immer es dir beliebt«, sagte er gleichmütig.
    »Ich könnte dich hinhalten und in Avalon um eine Bestätigung nachsuchen«, sagte ich und grinste. »Dreißig Jahre für den Hinruf und weitere dreißig Jahre für den Rückruf. Und, sagen wir mal, noch ein Jahr für die Recherchen. Kannst du einundsechzig Jahre auf das Spiel warten, Cyborg?«
    »Solange es nötig sein wird«, antwortete er.
    »Shayalla sagt, du seist durch und durch geschlechtslos.«
    »Diese Fähigkeit habe ich seit dem Tag meiner Wiederherstellung verloren«, sagte er. »Mein Interesse an dieser Sache hielt noch ein paar Jahrhunderte an, aber schließlich schwand es ganz. Wenn ich Wert darauf legte, hätte ich Zugang zu dem ganzen Spektrum erotischer Erinnerungen aus den Tagen, als ich noch in einem organischen Körper steckte. Sie bleiben so frisch wie am ersten Tag, als sie meinem Computer eingegeben wurden. Wenn sie einmal im Kristall gespeichert sind, können die Erinnerungen nie mehr verblassen, wie es bei menschlichen Gehirnen der Fall ist. Sie bleiben dort, bis sie abgerufen werden. Aber ich habe jetzt schon seit Jahrhunderten nicht mehr das Bedürfnis gehabt, sie