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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Hülle zu tragen; einen Tag und eine Nacht lang fühlte ich mich vollkommen verloren in dieser häßlichen Gestalt, während ich versuchte, mit Anblicken und Geräuschen und Gerüchen zurechtzukommen, die mir genauso sinnlos erschienen wie die Bilder in einem Alptraum, und schrie und um Selbstbeherrschung und meinen Verstand rang. Ich überlebte. Ein Triumph des Geistes über das Fleisch. Als ich bereit war, wurde ein neues Spiel ausgetragen, und diesmal gelang es mir, mit dem Körper meiner Wahl daraus hervorzugehen.
    Es war ein weiblicher menschlicher Körper. Schätzungsweise neununddreißig Jahre alt, mit einem nichtssagenden Gesicht, aber einem starken Körper, eine professionelle Spielerin, die nach Croan’dhenni gekommen war, um ihr letztes Spiel zu spielen. Sie hatte langes rötlich-braunes Haar und Augen, deren blaugrüne Farbe mich an die Meere auf Gulliver erinnerte. Sie besaß eine gewisse Stärke, aber nicht genug. In jenen lange zurückliegenden Tagen, vor dem Erscheinen von Khar Dorian und seiner Handelsflotte, fanden nur wenige menschliche Wesen den Weg nach Croan’dhenni. Meine Auswahl war begrenzt. Ich nahm sie.
    In dieser Nacht sah ich wieder in den Spiegel. Es war immer noch das Gesicht einer Fremden, mit zu langem Haar, mit einem falschen Farbton der Augen, einer Nase, die gerade wie ein Messerrücken war, einem wohlbehüteten Mund, der zuwenig gelächelt hatte.
    Jahre später, als dieser Körper anfing Blut zu spucken, weil er sich eine tödliche Krankheit in den croan’dhennischen Sümpfen geholt hatte, baute ich mir einen Raum aus spiegelndem Obsidian, um jeden neuen Fremden kennenzulernen.
    Die Jahre vergehen schneller, als es mir zu Bewußtsein kommt, während dieser Raum verschlossen und ungenutzt bleibt, aber schließlich wird immer wieder der Tag kommen, an dem ich weiß, daß ich ihn wieder betreten werde, und dann klettern meine Diener die Stufen hinauf und polieren den schwarzen Spiegel, bis er dunkel schimmert, und wenn das Spiel der Seelen vorüber ist, steige ich allein hinauf und ziehe alle meine Kleider aus und stehe und drehe mich in vollkommener Einsamkeit und tanze einen langsamen Reigen mit den Abbildern von anderen.
    Hohe, scharfe Wangenknochen und dunkle Augen, die tief in den Höhlen unter dichten Brauen liegen. Ein Gesicht in der Form eines Herzens, umgeben von einem Kranz wilden schwarzen Haares, große blasse Brüste mit braunen Spitzen.
    Stramme, schlanke Muskeln, die sich unter ölig glänzender rotbrauner Haut bewegen, lange Fingernägel, scharf wie Krallen, ein schmales, spitzes Kinn, braunes Haar wie Drahtborsten, das zu einem schmalen hohen Streifen auf dem Kopf und halbwegs den Rücken hinunter zurechtgestutzt ist; ein heißer, brunftiger Duft steigt eindringlich zwischen den Schenkeln auf. Meine Schenkel? Auf tausend Welten verändert sich die Menschlichkeit auf tausend Arten.
    Ein massiver, knochiger Kopf schaut aus einer Höhe von fast drei Metern auf die Welt hinunter, Bart und Haar vereinigen sich zu einer Löwenmähne so strahlend hell wie gepunztes Gold. Stärke spricht deutlich aus jedem Knochen und jeder Sehne, der breite, flache Brustkorb mit den zwecklosen roten Brustwarzen, die Ungewohntheit des langen, weichen Penis zwischen meinen Beinen. Das ist zuviel des Ungewohnten für mich, der Penis bleibt die ganze Zeit über weich, während ich diesen Körper trage, und in diesem Jahr wird mein Spiegelzimmer nur zweimal geöffnet.
    Ein Gesicht, das jenem sehr ähnelt, an das ich mich erinnere. Aber wie gut erinnere ich mich? Ein Jahrhundert ist zu Staub zerfallen, und ich behalte keine Ähnlichkeit mit den Gesichtern zurück, die ich getragen habe. Aus meiner Jugend, die lange, lange zurückliegt, ist mir nur die Glasblume geblieben. Ich hatte kurzes braunes Haar, ein Lächeln, graugrüne Augen. Der Hals war zu lang, die Brüste vielleicht zu klein. Aber alles war so nah, so nah, bis ich alt wurde, und es kam der Tag, an dem ich einen Blick erhaschte auf einen weiteren Fremden, der neben mir innerhalb der Burgmauern wandelte.
    Und nun das verhexte Kind. In den Spiegeln sieht es wie eine Traumtochter aus, die Tochter, der ich vielleicht das Leben geschenkt hätte, wenn ich erheblich hübscher gewesen wäre, als ich jemals war. Khar hat sie mir gebracht, als Geschenk, sagte er; ein wundervolles Geschenk, um mich angemessen zu entschädigen, denn ich hatte ihn grau und impotent kennengelernt, mit brüchiger Stimme und runzeligem Gesicht, und aus ihm einen

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