Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
von Gedanken. Der Stahlgeist. Die Wahrheit innerhalb der Lüge. Leben im Tod und Tod im Leben. Er wird dir alles wegnehmen, was er kann. Töte ihn jetzt!
     
    »Du hast seinen Rat nicht befolgt«, stellte der Cyborg fest.
    »So ist es«, sagte ich.
    »Warum?«
    »Weil du ein Geheimnis bist, das ich im Laufe des Seelenspiels enträtseln werde. Weil du eine Herausforderung bist, und es ist lange her, daß ich herausgefordert worden bin. Weil du es wagst, mich zu beurteilen, und davon träumst, mich zu vernichten, und es ist eine Ewigkeit her, daß jemand dies gewagt hat.«
     
    Der Obsidian gibt ein dunkles, verzerrtes Spiegelbild wider, aber das gefällt mir so. Wir nehmen unser ganzes Leben lang unser Abbild als etwas Gegebenes hin, bis die Stunde kommt, in der unsere Augen nach den bekannten Zügen suchen und statt dessen das Bild eines Fremden sehen. Man kann die Bedeutung von Schrecken oder auch von Faszination nicht ermessen, bevor man diesen ersten langen Blick aus den Augen eines Fremden zurückbekommt, eine unbekannte Hand hebt, um die Wange eines anderen zu berühren, und fremde Finger spürt, leicht und kühl und ängstlich, die einem über die Wange fahren.

    Ich war bereits eine Fremde, als ich damals nach Croan’dhenni kam, vor über einem Jahrzehnt. Ich kannte mein Gesicht, natürlich, da ich es fast neunzig Jahre lang getragen hatte. Es war das Gesicht einer Frau, die hart und stark war, mit tiefen Falten um die grauen Augen vom vielen Blinzeln im Licht fremder Sonnen, einem breiten Mund, der eine gewisse Großzügigkeit verriet, einer Nase, die einmal gebrochen und nicht wieder gerade zusammengewachsen war, und kurzen braunen, ständig struppigen Haaren. Ein angenehmes Gesicht, eines, für das ich eine gewisse Zuneigung empfand. Aber irgendwo habe ich es verloren, als ich zu beschäftigt war, um es zu bemerken; vielleicht während meiner Jahre auf Gulliver. Als ich auf Lilith ankam, hatte zum erstenmal ein fremdes Gesicht mein Spiegelbild verhext. Es war das einer alten Frau, verbraucht und runzelig. Die Augen waren grau und triefend und im Begriff zu erlöschen, das Haar war weiß und schütter, borstige Härchen wuchsen aus der Nase, und unter dem Kinn hingen schlaff einige graue Fleischfalten übereinander wie der Kropf eines Truthahns. Die Haut war ausgeleiert und fahl, während meine immer straff und rosig vor Gesundheit gewesen war; und es gab noch etwas, etwas, das man im Spiegel nicht sehen konnte – einen Geruch nach Krankheit, der sie wie das billige Parfüm einer abgetakelten Kurtisane umgab, ein Lockmittel des Todes.
    Ich kannte es nicht, dieses alte sieche Wesen, und ich legte auch keinen Wert auf seine Gesellschaft. Man sagt, daß auf Welten wie Avalon und Neuholm und Prometheus Alter und Siechtum langsam kommen; und in der Überlieferung wird behauptet, daß auf der Alt-Erde hinter ihren glänzenden Wänden der Tod schon lange überhaupt nicht mehr erscheint. Aber Avalon und Neuholm und Prometheus sind weit weg, und die Alt-Erde ist für uns verloren und bleibt uns verschlossen, und ich war allein auf Lilith mit einer Fremden im Spiegel. Also begab ich mich in Gefilde jenseits des Menschenreichs, weiter, als der menschliche Arm reicht, in das feuchte Halbdunkel von Croan’dhenni, von dem das Gerücht ging, daß es dort neues Leben zu erlangen gäbe. Ich wollte wieder in den Spiegel blicken und die alte Freundin wiedersehen, die ich verloren hatte.
    Statt dessen fand ich nur noch mehr Fremde.
    Der erste war der Herr der Schmerzen persönlich; Herr des Geistes, Herr des Lebens und des Todes. Vor meiner Ankunft hatte er hier vierzig und ein paar Standardjahre regiert. Er war Croan’dhennier, ein Eingeborener, ein riesiges zwiebelförmiges Wesen mit hervorquellenden Augen und einer blau und grün gesprenkelten Haut, die groteske Parodie einer Kröte mit dünnen, zweigliedrigen Armen und drei langen senkrechten Schlünden wie feuchte schwarze Wunden in seinem süßlich duftenden Fleisch. Wenn ich es ansah, konnte ich seine Schwäche förmlich schmecken; es war übermäßig fett, eine ausgedehnte, blubbernde Masse mit dem Geruch nach faulen Eiern, während die Wächter und Diener von Croan’dhenni alles muskulöse, stramme Burschen waren. Aber um den Herrn des Geistes zu stürzen, bedarf es eines Herrn des Geistes. Als wir das Seelenspiel spielten, nahm ich ihm das Leben und erwachte in diesem abstoßenden Körper.
    Es ist nicht leicht für eine menschliche Seele, eine fremdweltliche

Weitere Kostenlose Bücher