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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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jungen, gutaussehenden Mann gemacht.
    Sie ist etwa elf Jahre alt, vielleicht auch zwölf. Ihr Körper ist dürr und ungelenk, aber die Schönheit ist vorhanden, eingeschlossen schlummernd im Innern, kurz vor dem Erblühen. Ihre Brüste fangen gerade an zu knospen, und vor weniger als einem halben Jahr floß ihr Blut zum erstenmal. Ihr Haar ist von einem silbrigen Gold, lang und glatt, eine glitzernde Flut, die ihr fast bis zu den Fußknöcheln fällt. Sie hat große Augen in dem kleinen Gesichtchen, und sie sind von tiefstem, reinstem Violett. Ihr Gesicht sieht wie von einem Bildhauer geformt aus. Sie wurde so gezüchtet, ohne Zweifel: genetische Haute Couture hat die Würgianer zu den Herren des Handels und die Reichen auf Lilith und Fellanora zu einem atemberaubend schönen Volk gemacht.
    Als Khar sie mir brachte, war sie unglaublich scheu, ihr Geist war bereits verdrängt, ein winselndes tierisches Ding, das in einem dunklen Raum innerhalb ihres Schädels eingesperrt war und schrie. Kahr sagte, daß sie schon so gewesen sei, als er sie kaufte, die besitzlose Tochter eines fellanoranischen Räuberbarons, der politischer Verbrechen überführt und dafür hingerichtet worden war, wobei seine ganze Familie und all seine Freunde und Anhänger mit ihm getötet oder in seelenlose Sexualspielzeuge für seine siegreichen Feinde verwandelt wurden. So jedenfalls hat es Kahr erzählt. Und in den meisten Fällen glaube ich ihm sogar.
    Sie ist jünger und hübscher, als ich nach meiner Erinnerung je gewesen bin, nicht einmal in meiner frühesten Jugend auf Asch, wo mir ein namenloser Knabe eine Glasblume geschenkt hat. Ich hoffe, diese süße Fleischhülle so lange tragen zu können, wie ich den Körper getragen habe, in den ich hineingeboren worden bin. Wenn ich es hier lange genug aushalte, wird vielleicht eines Tages der Zeitpunkt kommen, zu dem ich wieder in den dunklen Spiegel sehen kann und mein eigenes Gesicht erblicke.
     
    Einer nach dem anderen kommen sie zu mir herauf; durch die Weisheit zur Wiedergeburt, das hoffen sie jedenfalls.
    Hoch über den Sümpfen, eingeschlossen in meine Türme, bereite ich mich auf sie in meinem Raum der Verwandlung vor. Mein wenig prunkvoller Thron ist eine nüchterne Kulisse. Das Artefakt macht ebenfalls keinen umwerfenden Eindruck: ein grob geformtes Becken aus einer fremdweltlichen Metallegierung, von schiefergrauer Farbe und bei der Berührung von schwacher Wärme, mit sechs Vertiefungen, die gleichmäßig am Rand entlang verteilt sind. Das sind die Sitze, enge, harte, ungemütliche Sitze, offensichtlich nicht für den menschlichen Körperbau eingerichtet, aber immerhin Sitze. Aus dem Boden des Beckens wächst eine schlanke Säule, wie ein Blütenstengel, mit einem weiteren Sitz als Blume, eine unbequeme Schale, die als Thron dient für … man mag sich den Titel aussuchen, der einem am besten gefällt: Herr der Schmerzen, Herr des Geistes, Herr des Lebens, Geber oder Nehmer, Drahtzieher, Knopfdrücker, Meister. All das bin ich. Und andere waren es vor mir, die Kette reicht rasselnd zurück bis zu Dem Weißen oder vielleicht noch weiter, zu den Machern, den Unbekannten, die diese Maschine im Halbdunkel ferner Äonen geschaffen haben.
    Wenn der Raum eine gewisse Dramatik ausstrahlt, dann ist das mir zu verdanken. Die Wände und die Decke sind gewölbt und mühsam aus Tausenden unterschiedlicher Stücke von poliertem Obsidian zusammengesetzt. Einige Scherben sind sehr dünn, so daß das graue Licht der croan’dhennischen Sonne hindurchsickern kann. Einige Scherben sind so dick, daß sie fast kein Licht durchlassen. Der Raum ist in einer einzigen Farbe, aber in tausend Tönen gehalten, und für jene, die die Begabung haben zu sehen, bildet er ein großes Mosaik von Leben und Tod, von Träumen und Alpträumen, von Schmerzen und Ekstase, von Ausschweifung und Leere, alles und nichts, wobei eines ins andere übergeht, immer rundherum, ein endloser Kreis, ein Zyklus, ein Wurm, der sich bis in alle Ewigkeit in den eigenen Schwanz beißt, jedes Stück unterschiedlich und zerbrechlich und rasiermesserscharf und jedes Teil eines größeren Bildes, das großflächig und schwarz und veränderlich ist.
    Ich zog mich aus und reichte meine Kleider Rannar, der jedes Stück sorgfältig zusammenlegte. Das Becken besitzt keine Abdeckung und ist eiförmig. Ich kletterte hinein und verschränkte die Beine unter mir im Lotussitz, das ist der beste Kompromiß zwischen der Form des Artefakts und des

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