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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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schau zu, was ich mit ihr machen kann.« Ich nahm das schönste, größte Blütenblatt zwischen Daumen und Zeigefinger, riß es heraus und warf es in den Wind. »Schönheit schützt nicht. Lebendiges ist schrecklich verletzbar. Und es endet früher oder später unweigerlich auf diese Weise.« In meiner Hand verfärbte sich die Blume, wurde braun, schrumpelte zusammen und begann zu welken. Würmer zerfraßen sie, eine faulige braune Flüssigkeit tropfte aus ihr heraus, dann zerfiel sie zu Staub. Ich drückte ihn zusammen und blies ihn fort. Dann pflückte ich hinter seinem Ohr eine neue Glasblume.
    »Glas ist hart«, sagte er. »Und kalt.«
    »Wärme ist ein Nebenprodukt des Zerfalls, ein Stiefkind der Entropie«, entgegnete ich.
    Vielleicht hätte er darauf geantwortet, aber wir waren nicht mehr allein. Über die zinnenbewehrte Brüstung kam der Geist gekrochen, er zog sich mit dürren, grauweißen Händen hoch und hinterließ dabei Blutspuren auf meinen makellosen Steinen. Er starrte uns wortlos an, ein halbdurchsichtiger Hauch in Weiß. Kleronomas wandte den Blick ab.
    »Wer ist das?« fragte ich.
    Der Cyborg konnte nicht antworten.
    »Erinnerst du dich wenigstens an seinen Namen?« fragte ich weiter. Er antwortete durch sein Schweigen, und ich lachte sie beide an. »Cyborg, du wolltest über mich richten, du fandest meine Moral schändlich und meine Handlungsweise verwerflich, aber was immer ich sein mag, ich bin nichts gegen dich. Ich stehle Körper. Du hast seine Seele gestohlen, nicht wahr? Nicht wahr?«
    »Ich wollte es nicht«, sagte er.
    »Joachim Kleronomas starb vor siebenhundert Jahren auf Avalon, genau wie es aus den Berichten hervorgeht. Er mag zum größten Teil aus Stahl und Plastik bestanden haben, aber es steckte auch noch vergängliches Fleisch in ihm, auch ganz zum Schluß noch, und für alles Fleisch kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem die Zellen sterben. Eine feine Linie auf einer Maschine, die im Dunkeln glühte, und eine leere Metallhülle. Das Ende einer Legende. Was machte man damit? Man trennte das Gehirn heraus und begrub es unter einem überdimensionalen Monument. So war es ohne Zweifel.« Der frische Kaffee war stark und süß, hier wurde er niemals lauwarm, weil mein Wille es nicht erlaubte. »Aber man hat die Maschine nicht begraben, oder? Diesen teuren, intelligenten cybernetischen Organismus, diesen Computerspeicher mit seinem ganzen Reichtum an Wissen, der Urkristall mit all seinen eingefrorenen Erinnerungen. All das war viel zu wertvoll, um einfach weggeworfen zu werden. Die hervorragenden Wissenschaftler von Avalon schlossen es mit Hilfe eines Adapters an das Hauptsystem der Akademie an, nicht wahr? Wie viele Jahrhunderte vergingen, bis einer von ihnen beschloß, den Körper des Cyborgs wieder zusammenzusetzen und ihn für den Fall des eigenen Todes bereitzuhalten?«
    »Weniger als eins«, sagte der Cyborg. »Weniger als fünfzig Standardjahre.«
    »Er hätte dich auslöschen sollen«, sagte ich. »Aber warum? Sein Gehirn würde schließlich die Maschine bedienen. Warum sollte er sich den Zugang zu all diesem wundervollen Wissen versperren, warum all diese kristallisierten Erinnerungen zerstören? Warum, wenn er sie statt dessen für seine Zwecke nutzen konnte? Wieviel besser wäre es doch, ein ganzes zweites Leben zur Verfügung zu haben, Zugang zu einem Wissen zu haben, das er selbst nie hatte erlangen können, sich Orte in den Sinn zu rufen, an denen er niemals war, und Menschen, denen er nie begegnet war.« Ich hob die Schultern und sah zu dem Geist hinüber. »Armes dummes Ding. Hättest du jemals beim Seelenspiel mitgemacht, dann wärst du vielleicht schlauer gewesen.«
    Woraus könnte denn die Seele, der Geist bestehen, wenn nicht aus Erinnerungen? Wer sind wir überhaupt? Wir sind nur der, der wir glauben zu sein, nicht mehr, nicht weniger.
    Ritze deine Erinnerungen in einen Diamanten oder in ein Stück verfaulendes Fleisch, eine andere Wahl gibt es nicht. Stück für Stück muß das Fleisch sterben und durch Stahl und Metall ersetzt werden. Nur die Erinnerungen in dem Diamanten überleben, um den Körper weiterzutreiben. Am Ende bleibt gar kein Fleisch mehr übrig, und das Echo der verlorenen Erinnerungen sind nur noch gespenstische Kratzer auf dem Kristall.
    »Er vergaß, wer er war«, sagte der Cyborg. »Oder vielmehr, ich vergaß, wer ich war. Ich fing an zu glauben … er fing an zu glauben, er sei ich.« Er sah zu mir auf, sein Blick fixierte meinen. Es war ein

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