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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Verzweiflung, Tod und Wiedergeburt, körperlicher und seelischer Vergewaltigung aufführen können. Ohne daß ich dem Ganzen eine Form gebe, ohne meine Vision und die Visionen all der anderen Herren des Schmerzes während der Äonen vor mir hätten sie keinen Himmel über sich und keinen Boden unter den Füßen, auch keine Füße, die sie irgendwohin setzen könnten. Die Wirklichkeit bietet nicht einmal die spärliche Ausstattung der öden Landschaft, die ich ihnen biete. Die Wirklichkeit ist das Chaos, unerträglich, außerhalb von Raum und Zeit, jeder Materie oder Energie beraubt, ohne Maß und deshalb beängstigend unendlich und beklemmend begrenzt, entsetzlich ewig und qualvoll kurz. Dieser Wirklichkeit sind die Spieler in die Falle gegangen, sieben Seelen telepathisch eingeschlossen, in einer so intimen Begegnung, daß die meisten sie nicht ertragen können. Und deshalb schrumpfen sie weg, und das erste, das wir zurücklassen an einem Ort, wo wir Götter sind (oder Teufel oder beides), sind die Körper, die Körper, die wir nicht mehr ertragen können. Hinter dieser Mauer von Fleisch suchen wir Zuflucht und versuchen, das Chaos zu ordnen.
    Blut hat den Geschmack von Salz, aber es gibt kein Blut, nur Illusion. In der Schale befindet sich ein schwarzes, bitteres Getränk, aber es gibt auch keine Schale, nur die Einbildung. Die Wunden sind offen und roh, triefend vor Qual, aber es gibt keine Wunden, keine Körper, die verwundet sein könnten, nur die Metaphern, das Symbol, beschwörender Zauber. Nichts ist wirklich, und alles kann verletzen, kann töten, kann ewigen Wahnsinn heraufbeschwören.
    Um zu überleben, müssen die Spieler widerstandsfähig, diszipliniert, stabil und skrupellos sein; sie müssen eine fertige Vorstellung mitbringen, ein umfangreiches Vokabular an Symbolen, ein gewisses Maß an psychologischer Einsicht. Sie müssen die Schwächen ihres Gegenspielers erkennen und ihre eigenen verletzbaren Stellen geschickt verbergen. Die Regeln sind einfach. Glaube an alles, glaube an nichts. Halte an dir selbst fest und an deinem gesunden Verstand!
    Selbst wenn man dich umbringt, bedeutet das gar nichts, solange du nicht daran glaubst, daß du gestorben bist.
    Auf dieser Ebene der Illusion, wo all diese wankelmütigen Körper herumschwirren und in diesem abgedroschenen Reigen ihre Schau abziehen, die ich schon tausendmal gesehen habe, indem sie Schwerter und Spiegel und Ungeheuer aus der Luft pflücken, um sich gegenseitig damit zu bewerfen wie verrückt gewordene Taschenspieler, ist das Gefährlichste von allem eine einfache Berührung.
    Die Symbolik ist unmittelbar, die Bedeutung klar. Fleisch auf Fleisch. Aller Metaphern entblößt, allen Schutzes entblößt, aller Maskerade entblößt. Seele auf Seele. Wenn wir uns berühren, bricht das Gebilde zusammen.
    Sogar die Zeit ist im Seelenspiel nur Einbildung, sie vergeht so schnell oder so langsam, wie wir es wünschen.
    Ich bin Cyrene, sage ich mir, geboren auf Asch, weitgereist, eine Weisheit auf Dam Tullian, Meisterin des Seelenspiels, Herrscherin in der Obsidianburg, Regentin auf Croan’dhenni, Herrin des Geistes, Herrin des Schmerzes, Herrin des Lebens, vollkommen und unsterblich und unverletzlich. Durchdringe mich!
    Seine Finger sind kalt und hart.
     
    Ich habe das Seelenspiel schon öfters gespielt, die Hände anderer geschüttelt, die sich für stark hielten. In ihrem Geist, in ihrer Seele, in ihrem Innern habe ich Dinge gesehen. In dunklen, grauen Tunneln habe ich die Spuren ihrer alten Narben entdeckt. Der Treibsand ihrer Unsicherheit hat sich an meine Stiefel geheftet. Ich habe den ranzigen Gestank ihrer Angst gerochen, große aufgeblähte Tiere, die in einer offensichtlich lebendigen Dunkelheit hausen. Ich habe mir die Finger an dem heißen Fleisch der Lust verbrannt, für die es keinen Namen gibt. Ich habe die Schleier von ihren verborgensten Geheimnissen gerissen. Und dann habe ich sie mir alle genommen, bin sie gewesen, habe ihre Leben gelebt, habe das abgestandene Gebräu ihres Wissens getrunken und in ihren Erinnerungen gewühlt. Ich bin ein dutzendmal geboren worden, habe an einem Dutzend Brustwarzen gesaugt, habe dutzendmal meine Jungfernschaft verloren, männliche und weibliche.
    Kleronomas war anders.
    Ich stand in einer großen Höhle, in der Lichter lebhaft flackerten. Die Wände und der Boden und die Decke waren aus durchscheinendem Kristall. Alles um mich herum drehte sich, und Spindel und spiralförmige Bänder wuchsen aus dem

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