Wassermans Roboter
versprechen. An dem Tag nach dem Morgen, viele Jahre vom Heute, obwohl sie nicht lang erscheinen, wenn sie erst einmal vorüber sind, wird der Tod langsam in dir wachsen. Die Saat ist ausgebracht. Vielleicht wird es eine Krankheit sein, die in diesen süßen kleinen Brüsten keimt, an denen Rannar so leidenschaftlich gern nuckelt, vielleicht wird man dir im Schlaf eine feine Drahtschlinge um die Kehle legen, vielleicht wird ein plötzlicher Ausbruch der Sonne diesen Planeten in Asche verwandeln. Es wird kommen, so oder so, und zwar schneller, als du denkst.«
»Ich nehme es hin«, sagte sie. Sie lächelte dabei, ich glaube, sie meinte es ernst. »Alles, jedes bißchen davon. Das Leben und den Tod. Ich mußte lange ohne es auskommen, Weis … Kleronomas.«
»Du fängst schon an, Dinge zu vergessen«, stellte ich fest. »Jeden Tag wird dir mehr entfallen. Heute erinnern wir uns noch beide. Wir erinnern uns an die Kristallhöhlen von Eris, das erste Schiff, auf dem wir gedient haben, die Linien im Gesicht unseres Vaters. Wir erinnern uns, was Tomas Chung gesagt hat, als wir beschlossen, nicht nach Avalon zurückzukehren, und an die Worte, die er auf dem Sterbebett gesprochen hat. Wir erinnern uns an die letzte Frau, mit der wir geschlafen haben, ihre Formen und ihren Geruch, den Geschmack ihrer Brüste, die Geräusche, die sie machte, wenn wir ihr Befriedigung verschafften. Sie ist tot und existiert seit achthundert Jahren nicht mehr, aber in unserer Erinnerung lebt sie. Aber in deiner Erinnerung stirbt sie, nicht wahr? Heute bist du noch Kleronomas. Doch auch ich bin er, und ich bin Cyrene von Asch, ein kleiner Teil von mir ist auch immer noch unser Geist, dieser arme, traurige Mann. Aber wenn das Morgen kommt, werde ich an allem festhalten, was ich bin, und du, du wirst die Herrin der Seelen sein, oder vielleicht eine Liebesdienerin in einem parfümschwangeren Bordell auf Cymeranth, oder eine Gelehrte auf Avalon, aber auf jeden Fall eine andere Person, als du jetzt bist.«
Sie verstand, und sie nahm es hin. »Du wirst also das Seelenspiel in alle Ewigkeit spielen«, sagte sie, »und ich werde niemals sterben.«
»Du wirst sterben«, sagte ich mit Nachdruck. »Ganz bestimmt. Nur Kleronomas ist unsterblich.«
»Und Cyrene von Asch.«
»Sie auch, ja.«
»Was wirst du tun?« fragte sie mich.
Ich ging ans Fenster. Da stand die Glasblume, in einer schlichten Vase aus Holz, in ihren Blütenblättern brach sich das Licht. Ich sah hinauf zur Quelle dieses Lichts, zur strahlenden Sonne von Croan’dhenni, die am klaren Mittagshimmel glühte. Ich sah nun direkt hinein, konnte die Sonnenflecken und die Flammentürme ihrer Eruptionen deutlich erkennen. Ich stellte den Wahrnehmungsbereich meiner Kristallaugen geringfügig anders ein, und der leere Himmel war voller Sterne, so vieler Sterne, wie ich noch nie gesehen hatte, mehr Sterne, als ich mir jemals hätte vorstellen können.
»Tun?« fragte ich, während ich immer noch zu diesem geheimen Sternenfeld hinaufsah, das nur für mich allein sichtbar war. Es brachte mir mein Obsidianmosaik in den Sinn. »Es gibt Welten, in denen ich noch nie war«, erklärte ich meiner Zwillingsschwester, meinem Vater, meiner Tochter, meinem Feind, meinem Spiegelbild, was immer sie sein mochte. »Es gibt Dinge, die ich noch nicht weiß, Sterne, die nicht einmal ich sehen kann. Was ich tun werde? Alles, zunächst einmal alles.«
Während ich sprach, kam ein dickes gestreiftes Insekt durch das offene Fenster hereingeflogen, mit sechs Flügeln aus zartem Gewebe, die so schnell durch die Luft peitschten, daß das menschliche Auge es nicht wahrzunehmen vermochte, doch für mich waren es träge Flügelschläge, die ich mühelos hätte zählen können, wenn ich gewollt hätte. Es ließ sich kurz auf meiner Glasblume nieder, fand weder Duft noch Blütenstaub und schlüpfte wieder hinaus. Ich beobachtete, wie es davonflog, kleiner und kleiner wurde und in der Ferne verschwand. Ich fuhr mein Teleskop aufs äußerste aus, stellte meine Sehschärfe auf die empfindlichste Stufe, bis sich der kleine sterbende Käfer endgültig zwischen den Sümpfen und den Sternen verlor.
Originaltitel: »The Glassflower«
Copyright © 1986 by Davis Publications, Inc.
(erstmals erschienen in »Isaac Asimov’s Science Fiction Magazine«, September 1986)
mit freundlicher Genehmigung des Autors und seiner literarischen Agentur, UTOPROP
Copyright © 1988 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag,
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