Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
Boden und von der Decke und schlängelten sich strahlend und rot und kraftvoll durch die Luft; kalt anzufassen, doch lebendig. Seelenfunken sprühten überall. Eine kristalline Märchenstadt in einer Höhle. Ich berührte die ersten Erhebungen, und die Erinnerungen durchflossen mich; ein Wissen so klar und scharf und bestimmt wie an dem Tag, an dem es hier verewigt worden war. Ich drehte mich und sah meine Umgebung mit neuen Augen, ich erkannte jetzt eine strenge Ordnung, wo ich zuvor nur chaotische Schönheit gesehen hatte. Es war rein. Es war eisig und wirkungsvoll und ewig und unglaublich rein. Ich suchte überall nach der Verletzbarkeit, nach dem Ansatz des Wundbrandes im Fleisch, dem Becken von Blut, dem Ort des Weines, dem schleichenden, unreinen Etwas, das irgendwo tief im Innern schlummern mußte, doch ich fand nichts, nichts, nur Vollkommenheit, nur den reinen, scharfen Kristall, so unwahrscheinlich rot, innerlich glühend, wachsend und sich wandelnd, doch ewig. Ich versuchte es mit einer weiteren Berührung, umfaßte mit der Hand eine Erhebung, die direkt vor mir wie ein Stalagmit aus dem Boden wuchs. Das Wissen war mein. Ich bewegte mich langsam voran, ständig berührend und alles in mich aufsaugend. Glasblumen blühten zu beiden Seiten, zerbrechlich und schön. Ich nahm eine und roch daran, doch sie duftete nicht. Die Perfektion war ein Zaubertrick. Wo war die Schwachstelle? Wo war der versteckte Makel in diesem Diamanten, der es mir ermöglichen würde, ihn mit einem einzigen scharfen Atemzug zum Bersten zu bringen?
    Hier innen gab es keine faule Stelle.
    Hier war kein Platz für den Tod.
    Hier lebte nichts.
    Ich fühlte mich zu Hause.
    Und dann nahm der Geist vor mir Gestalt an, grau und ausgemergelt und hinfällig. Von seinen nackten Füßen stiegen dünne Rauchschwaden auf, während sie leicht über die glühenden Kristalle schritten, und der Geruch von verbranntem Fleisch stieg mir in die Nase. Und ich lächelte. Die Erscheinung spukte im Kristallirrgarten, jede Berührung würde Schmerz und Zerstörung bedeuten. »Komm her!« sagte ich. Er sah mich an. Am anderen Ende der Höhle konnte ich durch den Nebel des konturlosen Fleisches Lichter sehen. Er kam auf mich zu, und ich öffnete die Arme für ihn, durchdrang ihn, besaß ihn.
     
    Ich saß auf einem Balkon am höchsten Turm meiner Burg und trank aus einer kleinen Tasse duftenden schwarzen Kaffee mit einem Schuß Brandy. Die Sümpfe waren verschwunden, statt dessen blickte ich auf Berge, schroff und kalt und rein. Sie erhoben sich blau und weiß rings um mich herum, und vom höchsten Gipfel ergoß sich ein Schweif von Schneekristallen, angetrieben von einem endlosen gleichmäßigen Wind. Der Wind schnitt durch mich hindurch, aber ich spürte es kaum. Ich war allein und mit mir im Frieden, der Kaffee schmeckte gut, und der Tod war weit weg.
    Er kam auf den Balkon heraus und setzte sich auf das Geländer. Seine Haltung war lässig, arrogant, selbstbewußt. »Ich kenne dich«, sagte er. Das war eine äußerst ernste Drohung.
    Ich hatte keine Angst. »Ich kenne dich«, sagte ich meinerseits. »Soll ich deinen Geist heraufbeschwören?«
    »Er wird sowieso bald hier sein. Er ist niemals weit von mir entfernt.«
    »Nein«, sagte ich, nippte an meinem Kaffee und ließ ihn warten. »Ich bin stärker als du«, erklärte ich schließlich. »Ich werde das Spiel gewinnen, Cyborg. Es war ein Fehler von dir, mich herauszufordern.«
    Er sagte nichts.
    Ich setzte meine Tasse ab, die jetzt bis zum letzten Tropfen geleert war, schloß die Hände darum und lächelte, während meine Glasblume wuchs und ihre farblosen, durchsichtigen Blätter entfaltete. Die Sprenkel eines Regenbogens übersäten den Tisch. Er runzelte die Stirn. Farbe kroch in meine Blume. Ihr Stengel wurde weich und neigte sich, der Regenbogen war verscheucht. »Die andere war nicht echt«, sagte er. »Eine Glasblume lebt nicht.«
    Ich hielt seine Rose hoch und deutete auf den geknickten Stiel. »Diese Blume stirbt«, sagte ich. In meinen Händen wurde sie wieder zu Glas. »Eine Glasblume bleibt ewig.«
    Er verwandelte das Glas wieder in lebende Materie. Er war ziemlich hartnäckig, das muß man sagen. »Sogar im Sterben lebt sie.«
    »Sieh dir doch nur ihre Unvollkommenheit an«, sagte ich. Ich zeigte ihm einen Makel nach dem anderen. »Hier hat ein Insekt an ihr genagt. Hier ist ein Blütenblatt verkümmert, diese dunklen Flecken, das ist die Trockenfäule, hier hat sie der Wind geknickt. Und jetzt

Weitere Kostenlose Bücher