Wassermans Roboter
sie mit zu den Delhune-Besitztümern nach Gulliver.
Rieseen Jay beschwerte sich, daß sie betrogen worden sei. Ich glaube, sie wird noch eine Weile hier herumlungern, draußen, in der Stadt der Verdammten. Das wird ihr ohne Zweifel die Langeweile vertreiben. Der G’vherner bemüht sich, sprechen zu lernen, und er hat sich aufwendige Symbole auf die Flügel gemalt. Der tätowierte Junge stürzte sich ein paar Stunden nach seiner Rückkehr von der Wehrmauer der Burg und spießte sich auf den scharfkantigen Obsidianpfeilern in der Tiefe auf, wobei er bis zum letzten Augenblick mit den Armen schlug. Flügel und feurige Augen bedeuten eben noch gar nichts.
Eine neue Herrin der Seelen hat die Herrschaft übernommen. Sie hat den Bau einer neuen Burg angeordnet, einer Konstruktion, die aus lebenden Hölzern gehauen wird, deren Fundamente tief in den Sümpfen wurzeln und deren Fassade mit Wein und Blumen und anderen lebenden Dingen umrankt ist.
»Du wirst Ungeziefer haben«, warnte ich sie. »Parasiten und Stechmücken, Holzwürmer in den Balken, Fäulnis im Fundament, Verwesung in den Wänden. Du wirst mit einem Netz über dem Bett schlafen müssen, du mußt andauernd töten, Tag und Nacht. Deine hölzerne Burg wird in einem Giftbrei kleiner Tode schwimmen, und in wenigen Jahren werden die Geister von einer Million Insekten nachts durch deine Räume schwirren.«
»Nichtsdestoweniger«, sagte sie, »wird mein Heim warm und voller Leben sein, während deins kalt und spröde war.«
Nun, jeder hat seine eigene Symbolik, schätze ich.
Und seine Ängste.
»Lösch ihn aus!« hatte sie mich gewarnt. »Vernichte den Kristall, sonst wird er eines Tages dich zu seinem Werkzeug machen, und du wirst nur ein weiterer Geist in der Maschine sein.«
»Ihn auslöschen?« Ich hätte gelacht, wenn mein Mechanismus zum Lachen eingerichtet gewesen wäre. Ich kann vollkommen durch sie hindurchsehen. Ihre Seele ist auf ihr sanftes, zartes Gesicht gezeichnet. Ich kann ihre Poren zählen und jedes Aufflackern von Zweifel in den Pupillen ihrer violetten Augen registrieren. »Mich auslöschen, meinst du wohl. Der Kristall beherbergt uns beide, mein Kind. Und übrigens, ich habe keine Angst vor ihm. Du erkennst nicht den Kern der Sache. Kleronomas war der Kristall, der Geist war organisches Fleisch, die Folge unvermeidlich. Mein Fall liegt anders. Ich bin genauso kristallin wie er, und genauso unvergänglich.«
»Weisheit …«, setzte sie an.
»Falsch«, sagte ich.
»Cyrene, wenn es dir lieber ist …«
»Schon wieder falsch. Nenn mich Kleronomas!« Ich bin schon so mancherlei gewesen in meinen vielen abwechslungsreichen Leben, aber ich war noch niemals eine Legende. Es hat durchaus einen gewissen Reiz.
Das kleine Mädchen sah mich an. »Ich bin Kleronomas«, sagte sie mit ihrer hohen, süßen Stimme, und ihre Augen blickten verwirrt.
»Ja«, sagte ich, »und nein. Heute sind wir beide Kleronomas. Wir haben das gleiche Leben gelebt, die gleichen Dinge getan, die gleichen Erinnerungen gespeichert. Aber von heute an trennen sich unsere Wege. Ich bin aus Stahl und Kristall, und du bist aus kindlichem Fleisch. Du wolltest das Leben, hast du gesagt. Umfange es, es ist dein, und alles, was dazugehört. Dein Körper ist jung und gesund, gerade im Begriff zu erblühen, deine Jahre werden lang und erfüllt sein. Heute glaubst du noch, Kleronomas zu sein. Und morgen?
Morgen wirst du wieder erfahren, was Lust ist, und deine kleinen Schenkel für Khar Dorian öffnen, und du wirst beben und schreien, wenn er dich zum Orgasmus bringt. Morgen wirst du unter Blut und Schmerzen Kinder gebären und zusehen, wie sie heranwachsen und älter werden und selbst wieder Kinder zur Welt bringen, und sterben. Morgen wirst du durch die Sümpfe reiten, und die Besitzlosen werden dich mit Geschenken überhäufen und dich verfluchen und dich preisen und dich anbeten. Morgen werden neue Spieler kommen, um Körper flehen, um Wiedergeburt, um eine zweite Chance, und morgen werden Khars Schiffe mit Ladungen von neuen Gewinnen anlegen, und deine moralische Festigkeit wird auf die Probe gestellt werden, immer wieder, und deine Moral wird sich wandeln, sich der Mode anpassen. Morgen werden Khar oder Jonas oder Sebastian Cayle beschließen, daß sie lange genug gewartet haben, und du wirst ihre nach honigsüßem Verrat schmeckenden Küsse empfangen. Vielleicht wirst du gewinnen, vielleicht wirst du verlieren. Es gibt keine Gewißheit. Aber eines ist gewiß, das kann ich dir
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