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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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an, sieh dich an!« Rieseen Jay verschränkt die Arme und lächelt zufrieden.
    Kleronomas sieht mich mit einem kalten, abschätzenden Gesichtsausdruck an. Ein schwarzer Stoffstreifen legt sich mir von selbst um die Augen. Ich blinzle, reiße den Stoff weg und starre Kleronomas an. »Ich bin nicht blind«, sage ich. »Ich sehe sie. Es ist nicht mein Kampf.«
    Die fette Frau ist groß wie eine Dampflok und bleich und weich wie eine Made. Sie ist nackt und gewaltig, und mit jeden Lidschlag von Jays Augen wächst sie zu noch monströseren Ausmaßen. Riesige weiße Brüste quellen aus ihrem Gesicht, aus ihren Händen, aus den Schenkeln, und die braunen, fleischigen Brustwarzen öffnen sich wie gierige Münder und fangen an zu singen. Ein dicker grüner Penis erscheint über ihrer Vagina, schlängelt sich tiefer und dringt in sie ein. Geschwüre blühen auf ihrer Haut wie ein Feld von dunklen Blumen. Und überall sind die Spiegel, blinkend, reflektierend, verzerrend und vergrößernd. Sie zeigen ihr erbarmungslos alles von ihrem Körper, dokumentieren jede perverse Laune, die Jay an ihr ausläßt. Die fette Frau ist kaum noch menschlich. Aus einem Mund von der Größe meines Kopfes, gaumenlos und blutend, stößt sie einen blubbernden Laut aus, der sich wie der Klageschrei der Verdammten anhört. Ihr Fleisch beginnt zu zittern und zu dampfen.
    Der Cyborg gibt ein Zeichen. Alle Spiegel zerbersten.
    Der Nebel ist voller Splitter, kleine Dolche aus versilbertem Glas fliegen überall herum. Einer kommt auf mich zu, und ich lasse ihn verschwinden. Aber die anderen, die anderen … Sie kurven wie ferngelenkte Geschosse herum, werden zu einer Luftflotte im Angriff. Rieseen Jay wird an tausend Stellen durchbohrt, Blut tropft ihr aus den Augen, den Brüsten, dem geöffneten Mund. Das Ungeheuer ist wieder ein kleines Mädchen und weint.
    »Aha, Moralist«, sage ich zu Kleronomas.
    Er beachtet mich nicht, sondern dreht sich um zu Craimur Delhune und dem Schattenjungen. Tätowierungen flammen in neuem Leben auf der Haut des Knaben auf, und in seiner Hand erscheint ein feuersprühendes Schwert. Delhune weicht einen. Schritt zurück, entnervt. Der Junge berührt sein Fleisch, den Mund zu einem lautlosen Fluch geöffnet, und erhebt sich erschöpft.
    »Und Altruist«, füge ich hinzu. »Leistet den Schwachen Hilfe.«
    Kleronomas dreht sich um. »Solches Abschlachten kann ich nicht unterstützen.«
    Ich lache ihn an. »Vielleicht rettest du sie auch nur für dich selbst, Cyborg. Wenn nicht, dann solltest du dir besser schnell Flügel wachsen lassen, bevor dein Gewinn davonflattert.«
    Sein Gesicht ist eisig. »Mein Gewinn steht vor mir«, sagt er.
    »Irgendwie wußte ich das«, antworte ich und setze meinen Federhelm auf. Auf meiner Rüstung funkeln goldene Glanzlichter, mein Schwert ist ein Speer aus Licht.
    Mein Panzerhemd ist schwarz wie die Nacht, und die Zeichen, mit denen es geschmückt ist, Schwarz auf Schwarz, sind Darstellungen von Spinnen und Schlangen und Menschenschädeln und schmerzverzerrten Gesichtern. Mein langes, gerades Silberschwert verwandelt sich in Obsidian und windet und krümmt sich, bis es zu einem grotesken Gebilde mit Widerhaken und grausam spitzen Dornen geworden ist. Er hat einen Sinn fürs Dramatische, dieser verdammte Cyborg. »Nein«, sage ich. »Ich will nicht das Böse verkörpern.« Sofort erstrahle ich wieder in Gold und Silber, und meine Federn sind rot und blau. »Trag du doch selbst dieses Gewand, wenn es dir so gut gefällt.«
    Er steht vor mir, schwarz und böse, den Helm lose auf dem grinsenden Schädel; Kleronomas läßt ihn verschwinden. »Ich brauche keine Hilfsmittel«, sagt er. Der grauweiße Geist umschwirrt ihn und zupft an ihm. Wer ist das? Wieder frage ich mich.
    »Nun gut«, sage ich. »Dann werden wir eben auf Symbole verzichten.«
    Meine Rüstung ist verschwunden.
    Ich strecke die bloße, geöffnete Hand aus. »Berühre mich«, sage ich. »Berühre mich, Cyborg!«
    Als er seine Hand nach meiner ausstreckt, kriecht irgend etwas Metallenes seine langen, dunklen Finger hinauf.
     
    Im Seelenspiel, mehr noch als im Leben, sind Phantasie und Metaphern alles.
    Der Ort jenseits der Zeit, die endlose, nebelverhangene Ebene, der kalte Himmel und die unbestimmte Erde unter uns, auch das ist alles Illusion. Es gehört alles mir, alles, ein Bühnenbild – wenn auch unirdisch, unreal –, vor dem die Spieler ihre geschmacklosen Flitterdramen von Beherrschung und Unterwerfung, Eroberung und

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