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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Gefängniswärter«, spottete Chris. »Alle wichtigen Positionen sind von den Priestern der Asen besetzt. Die Mystiker in der SS beherrschen das Reich. Hitler ist nur noch ein syphilitischer Tattergreis, den sie in Berchtesgaden festhalten. Und euch alte Nazis nimmt doch keiner mehr ernst.«
    Der Offizier tat einen Zug an seiner Zigarette. »Was wollen Sie mit dieser Bemerkung sagen?«
    »Ich will damit sagen, daß dieses Geschwafel von der Herrenrasse nur der Zuckerguß war. Eine Ausrede, um die KZs einzurichten. Aber die SS hätte sie auch mit Ariern vollgepfropft, wenn das nötig gewesen wäre, um ans Ziel zu gelangen …«
    Der Gestapo-Mann trat einen Schritt vor. »Um an welches Ziel zu gelangen? Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß die Lager einen anderen Zweck hatten, als die minderwertigen Rassen auszurotten, Sie Lichtlein?«
    Sein Lachen hatte einen nervösen, schrillen Beiklang. »Darauf wissen Sie auch keine Antwort! Selbst Loki hat es Ihnen nicht verraten, was?«
    Chris hätte schwören mögen, daß in den Augen des Offiziers Enttäuschung flackerte. Er hatte gehofft, etwas von Chris zu erfahren, und fühlte sich nun geprellt, weil sein Gefangener ebenso im Dunkeln tappte wie er selbst.
    Nein, ich habe eine Frage vertan, und Loki hat mir nichts über die Lager verraten. Chris warf einen Blick auf die zitternden Hände des Mannes – Hände, die ohne jeden Zweifel mehr Unheil angerichtet hatten, als er sich vorzustellen wagte … und das alles für eine Sache, die für den Sieg längst unerheblich war.
    »Sie armer Nazi auf dem Abstellgleis!« fuhr Chris fort. »Ihre Träume waren vielleicht Wahnsinn, aber sie entsprangen wenigstens einem Menschengehirn! Wie fühlen Sie sich jetzt, da die Fremden von allem Besitz ergriffen haben und es so verändern, daß man es nicht wiedererkennt?«
    Der Gestapo-Mann lief rot an. Fahrig nahm er einen Knüppel von einem Tisch neben der Wand und klatschte sich damit in die behandschuhte Linke.
    »Ich werde Sie verändern, daß man Sie nicht wiedererkennt«, fauchte er wütend. »Für einen Nazi auf dem Abstellgleis verstehe ich nämlich mein Handwerk noch bemerkenswert gut.«
    Er kam näher, die Lippen zu einem dünnen Lächeln verzogen. Chris spannte sich an, als der Arm mit dem Knüppel weit ausholte. Aber in diesem Moment teilten sich die Ledervorhänge, und ein großer Schatten fiel über den Teppich. Der Gestapo-Offizier wurde blaß und nahm eine stramme Haltung an.
    Der rotbärtige Ase namens Thor nickte ihm kurz zu, während er aus seinem Fellumhang schlüpfte. »Du kannst gehen«, sagte er mit grollender Stimme.
    Der Nazi versuchte Chris in die Augen zu schauen, aber der starrte ins Kaminfeuer, bis die Vorhänge erneut raschelten und er allein mit dem Fremdling war.
    Thor setzte sich mit überkreuzten Beinen auf den dicken Teppich und betrachtete wie Chris eine Zeitlang stumm die Flammen. Als er mit seinem Hammer in den Scheiten herumstocherte, zeichnete die Hitze feine, glühende Muster auf den massiven Eisenkopf.
    »Fro schickt uns Nachricht aus Vinland … aus dem Meer, das Ihr Labrador-See nennt. Viele tapfere Männer sind dort gefallen.«
    Thor schaute auf.
    »Die Werkzeuge dieses Feiglings – Unterseeboote – haben unserer Flotte großen Schaden zugefügt. Aber am Ende blieb Fro mit seinen Stürmen siegreich. Die Landung ist gesichert.«
    Chris versuchte das flaue Gefühl im Magen zu bekämpfen. Man hatte diesen Ausgang erwartet. Schlimmeres stand im Winter bevor.
    Thor schüttelte den Kopf. »Es ist ein böser Krieg. Wo bleibt die Ehre, wenn Tausende sterben, ohne auch nur die Gelegenheit zu erhalten, ihre Tapferkeit unter Beweis zu stellen?«
    Chris hatte im Umgang mit Göttern mehr Erfahrung als die meisten Amerikaner. Dennoch ging er das Wagnis ein und antwortete unaufgefordert:
    »Ich stimme Euch zu, Mächtiger. Aber tragen wir die Schuld daran?«
    Thors Augen blitzten, als er Chris musterte. »Nein, tapferer Wurm! Ihr tragt nicht die Schuld daran. Daß ihr eure Flammenwerfer so sparsam eingesetzt habt, spricht für den Stolz eurer Anführer. Vielleicht wissen sie aber auch, daß unser Zorn sie treffen würde, wenn sie die große Hitze feige und mutwillig anwendeten.«
    Ich hätte an dieser Mission nie teilnehmen dürfen, erkannte Chris. Ich weiß zuviel. Loki war es gewesen, der die Kommandozentrale überstimmte und darauf bestand, daß Chris mitkam. Aber das bedeutete, daß er als einziger den wahren Grund für den spärlichen Einsatz der

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