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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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und Werften Amerikas entstand in einem Monat mehr Kriegsmaterial, als das Dritte Reich in seinem besten Jahr produziert hatte. Schiffe liefen in Abständen von Stunden vom Stapel. Und alle paar Minuten wurde ein neues Flugzeug fertig.
    Wichtiger noch, in Italien und im Pazifik hatte der Krieg aus hastig zusammengewürfelten Truppen von Farmern und Bürohockern richtige Soldaten gemacht, die den durchtrainierten Armeen des Feindes ebenbürtig und zahlenmäßig überlegen waren.
    Schon wurde vom Wiederaufbau nach dem Kriege gesprochen, von Vereinten Nationen, die darauf achten sollten, daß in Zukunft der Friede erhalten blieb.
    Chris war damals im Jahre ’44 ein kleiner Junge gewesen, der die Bücher von Chet Nimitz verschlang und sich mit glühendem Herzen wünschte, daß er als Erwachsener die gleichen Heldentaten vollbringen würde wie seine Onkel jenseits des großen Teichs. Vielleicht, so hoffte er, gab es sogar Abenteuer im Weltraum zu bestehen, denn die schrecklichen Kriege waren wohl für alle Zeiten zu Ende.
    Dann kamen die Gerüchte … Berichte von Rückschlägen an der Ostfront … von wankenden russischen Einheiten, die plötzlich und völlig unerwartet den Rückzug antraten. Die Gründe blieben unklar … was die Öffentlichkeit erreichte, war abergläubisches Gerede, das kein moderner Mensch ernst nahm.
    Stimmen an einer Straßenecke.
    Verdammte Rußkis … war vorauszusehen, daß die nicht durchhalten … das ständige Gequatsche über eine zweite Front … Pah, denen geben wir eine zweite Front! Sparen wohl ihre Kräfte auf … Keine Sorge, Iwan, Onkel Sam macht das schon …
    Juni, und der Himmel der Normandie war übersät von Flugzeugen. Schiffe bedeckten den Ärmelkanal …
    Chris lehnte sich mit dem Rücken gegen die kalte Steinmauer des unterirdischen Verlieses. Er schloß die Augen und versuchte die Erinnerung an die griesigen Schwarzweiß-Filme zu verdrängen, die er gesehen hatte. Aber es gelang ihm nicht, die Bilder auszulöschen.
    Schiffe, so weit das Auge reichte … die größte Armada, die freie Völker je versammelt hatten …
    Erst nachdem er sich der OSS angeschlossen hatte, bekam Chris Aufnahmen zu Gesicht, die man der Öffentlichkeit nie gezeigt hatte. Und seither wünschte er, sie wären auch ihm erspart geblieben.
    Der Tag der Alliierten-Landung – der Tag der Katastrophe …
    Hunderte von Wirbelstürmen, die aus den Morgennebeln aufstiegen und sich drehten wie Schreckenskreisel. Sie wuchsen in die Höhe, bis die dunklen Trichter über den Himmel hinaus zu reichen schienen. Und als sie sich den Schiffen näherten, hatte man den Eindruck, daß an ihren Flanken dunkle Gestalten ritten, die mit ihren Schwingen die Stürme zu immer größerer Wut aufpeitschten …
     
    »Marlowe hat den Löffel weggeschmissen, Mann.« O’Leary seufzte tief, als er neben Chris niederkauerte. »Jetzt bist du der Kapo, Daddyo.«
    Chris schloß die Augen. Alle sterben, dachte er, und ihm fiel ein, daß er den grimmigen Marine-Soldaten nie sonderlich gemocht hatte.
    Dennoch empfand er Trauer – vielleicht deshalb, weil Marlowe ihn abgeschirmt hatte, ihn vor der Verantwortung des Befehlens geschützt hatte.
    »Also, Boss, wie geht’s weiter?«
    Chris warf O’Leary einen Blick zu. Der Mann war wirklich zu alt für solche Kindereien. Um seine sanften Augen hatten sich die ersten Falten eingegraben, und der Babyspeck ging allmählich in ein Doppelkinn über. Die Armee zollte dem Genie ihren Tribut und ließ ihren Zivil-Experten allerhand durchgehen. Aber Chris fragte sich – übrigens nicht zum ersten Mal –, wie es dieser aus Greenwich Village entlaufene Typ je geschafft hatte, so eine verantwortungsvolle Position zu erreichen.
    Loki hat ihn ausgewählt. Das war die Antwort. So wie er mich ausgewählt hat. Wirft ein schlechtes Licht auf den Gott der Schlauheit.
    »Es geht erst mal damit weiter, daß du aufhörst, deine verdammten Sprüche zu klopfen, O’Leary! Ein unverständlicher Satz von dreien müßte als emotionale Krücke reichen, oder?«
    O’Leary zuckte zusammen, und Chris bedauerte seinen Ausbruch sofort.
    »Ach, vergiß es!« Er wechselte das Thema. »Wie geht es den übrigen Männern?«
    »Copacetic … äh, ich schätze, ganz gut, angesichts der Tatsache, daß sie in ein paar Stunden in einem Opferritual verbrutzelt werden sollen. Sie wußten von Anfang an, daß sie sich auf eine Selbstmord-Mission einließen. Wäre nur schön gewesen, wenn wir noch einige von diesen Bastarden

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