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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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schufen … die Asen! Das meinte Loki, als er seiner eigenen Erinnerung mißtraute … als er den Verdacht aussprach, daß er vielleicht nicht älter sei als ich …«
    »Das Ganze noch mal, Captain!« O’Leary beugte sich vor, soweit es seine Ketten zuließen. »Ich habe kein Wort verstanden.«
    Aber genau in diesem Augenblick hielt die Prozession an. Der Hohepriester zog sein goldenes Schwert und reichte es Odin dar. Der »Altvater« berührte es, und sein Gesang ertönte, dumpfer als die Hymnen der Menschen, wie ein Grollen, das aus dem Erdinnern drang.
    Eines der angeketteten Opfer, ein Freier Brite, wurde von seinem Obelisken zum Feuer vor dem Drachen-Altar geschleift. Er war halb ohnmächtig vor Entsetzen.
    Chris schloß die Augen, um sich gegen die Schreie zu wappnen. »Jesus!« zischte O’Leary.
    Ja, dachte Chris. Ruf Jesus an! Oder Allah! Oder den Gott Abrahams! Erwache, Brahma! Denn euer Traum hat sich in einen Alptraum verwandelt!
    Er begriff jetzt klar, warum Loki ihm die Antwort verweigert hatte, solange noch eine winzige Chance bestand, daß er hier heil herauskam.
    Danke, Loki.
    Besser, Amerika und die Letzte Allianz ging in diesem Kampf ehrlich unter, als sie erlagen der Versuchung des neuen Wissens … und wählten diesen Ausweg. Denn wenn die Alliierten die Methode des Feindes übernahmen, dann gab es in der Seele der Menschheit nichts mehr, wofür sich der Kampf lohnte.
    Wen würden wir beschwören, dachte Chris, wenn wir diese Magie jemals einsetzten? Superman? Oder Captain Marvel? Ganz sicher wären sie ebenbürtige Gegner der Asen. Unsere Mythen kennen keine Grenzen.
    Er lachte, und der Laut verwandelte sich in ein Schluchzen, als erneut ein Todesschrei durch die Nacht schnitt.
    Danke, Loki, daß du uns diese Prüfung unserer Seelen erspart hast!
    Er wußte nicht, wo sich der ›Gott der Lügen‹ aufhielt, und er hatte keine Ahnung, ob dieses Debakel nur der Vorwand für eine andere, völlig geheime Mission war.
    Konnte das sein? Chris hielt es durchaus für möglich. Soldaten sahen selten die großen Zusammenhänge, und Präsident Marshall mußte seinen OSS-Leuten nicht alles erzählen. Diese Mission konnte ohne weiteres eine Finte sein, ein ganz winziger Stein in einem großen Mosaik.
    Laser und Satelliten … auch sie sind vielleicht nur ein Teil des Ganzen. Vielleicht gibt es irgendwo noch Silberkugeln … und einen Mistelzweig.
    Ketten klirrten zu seiner Rechten. Er hörte portugiesische Flüche, und der nächste Gefangene wurde zum Feuer geschleppt.
    Chris warf einen Blick zum Himmel, und plötzlich, wie aus dem Nichts, kam ihm ein Gedanke.
    Legenden entstehen auf seltsame Weise, fuhr es ihm durch den Kopf.
    Eines Tages – selbst wenn es keine Silberkugeln gab – würde das Grauen ein Ende nehmen. Sobald das Menschenmaterial knapp wurde und die Asen sich nicht mehr mit dem Todes-Manna aus den Vernichtungslagern vollstopfen konnten.
    Dann würde eine Zeit kommen, da das Heldentum der Menschen wieder zählte. In geheimen Labors, im Exil auf dem Mond oder auf dem Meeresgrund würden freie Männer und Frauen hart arbeiten, um die Barrieren zu ersinnen, die Waffen, vielleicht die Helden selbst …
    Diesmal klang der Schrei unterdrückt, als habe der Brasilianer bis zuletzt versucht, seinen Feinden zu trotzen.
    Schritte kamen näher. Zu seinem Erstaunen fühlte sich Chris federleicht. Die Schwerkraft schien gerade auszureichen, um ihn auf dem Erdboden festzuhalten.
    »Mach’s gut, O’Leary«, sagte er gelassen.
    »Yeah, Mann, du auch. Immer cool bleiben!«
    Chris nickte. Er streckte den schwarzsilbern gekleideten SS-Leuten die Handgelenke entgegen, und als sie ihm die Ketten abnahmen, sagte er leise und freundlich: »Für erwachsene Männer habt ihr euch ganz schön albern verkleidet.«
    Sie starrten ihn verblüfft an. Chris lächelte, trat einen Schritt vor und ging ruhig auf den Altar und die wartenden Asen zu.
    Eines Tages werden Menschen diese Monster herausfordern, dachte er. Das Gefühl des Schwebens hielt an. Er wußte, daß er nicht schweben würde … Was immer sie mit ihm anstellten, er würde kaum Notiz davon nehmen.
    Dafür hatte Loki gesorgt. Deshalb hatte der Gott des Trugs im letzten Jahr soviel Zeit mit Chris verbracht … deshalb hatte er darauf bestanden, ihn auf diese Mission mitzunehmen.
    Unser Tag wird kommen. Rache wird unsere Nachfahren beflügeln. Die Wissenschaft wird ihnen helfen. Aber die Helden der Zukunft werden mehr brauchen, erkannte er. Helden brauchen

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