Wassermans Roboter
scheitern mußte
Zufrieden nickend, in der gewohnten Ordnung, ruhig und doch voll gespannter Vorfreude auf die kommende Lehrveranstaltung schritten die Studenten an der Ankündigung vorbei: »Tonbeispiele sind nicht zu befürchten!« – Wie sehr sie das beruhigte.
Manch einer mochte doch noch an das leise Unbehagen in der Magengrube denken, das sie in der Vorwoche befallen hatte, als Professor D’Arnoncourt über »Wahn und Krawall« gesprochen hatte, über das liederlich machend Liedermacher-Leben eines der – so wurde bedeutet – lautesten Musikanten in der Geschichte des organisierten Lärms: über Richard Wagner. [2]
D’Arnoncourt hatte natürlich keine Tonbeispiele vorgeführt, wie versprochen, aber ganz genau wußte man nie – und sei es nur aus Scherz.
Heute drohte so etwas nicht, heute konnte man sich beruhigt hinsetzen und sich ohne geheime Angst auf den Lehrstoff konzentrieren: so sollte es ja wohl auch sein, so liebten es die Studenten der Tradition entsprechend: keine Unregelmäßigkeit, keine Abweichungen vom Lehrplan und damit keine Verzögerungen des Studienfortgangs.
Mit der angebrachten Würde des Studierenden, aber auch der angemessenen Demut dessen, der noch nicht voll ausgebildet ist, nahmen die Studenten ihre Plätze ein, schlossen die Recorder und Notiz-Stifte der persönlichen Aufzeichnungsgeräte an.
Jeder hatte seine eigene Methode, sich für die kommende Stunde vorzubereiten, um das Bestmögliche für sich aus dem Vortrag zu gewinnen; viele schlossen die Augen, alle aber öffneten ihr Inneres, ihren Kopf, ihren Verstand: Wieder würde ihnen Wissen vermittelt, WISSEN, und was gab es Schöneres, was Wichtigeres im Leben!
Doktor II. Grades Roman D’Ummél, dem Dozenten des Instituts für Archäologie der Manipulation, bot sich das gewohnte Bild, als er den Vortragssaal betrat: Unzählige wißbegierig glänzende Augenpaare richteten sich auf ihn, wie immer – und wie jeder Professor – wurde er mit einem intensiven, liebevollen, zustimmenden Nicken begrüßt.
»Wir beschäftigen uns heute«, begann D’Ummél seinen Vortrag, »im Rahmen unserer Vorlesungsreihe Zur Verblendung durch Information mit dem Schicksal eines der Väter der Kommunikationswissenschaft – einem archaischen Wissenschaftszweig aus einer Zeit, in der die Menschen noch miteinander umgehen wollten.«
D’Ummél sah das erschreckte Zusammenzucken einiger Studenten. »Das ist schon lange vorbei«, beeilte er sich hinzuzufügen, »wir dürfen aber die Augen nicht verschließen, daß die Menschen einst! einmal! in der Vorzeit nichts dabei fanden, einander durch Information zum Beispiel, durch unerbetene Mitteilungen aus plärrenden kleinen Kästen sogar in Privatwohnungen zu belästigen! Das Beunruhigendste daran …« – D’Ummél senkte die Stimme – »war, daß die Menschen sich diese Kästen frei-wil-lig in ihre Wohnungen stellten oder stellen ließen, daß sie sich frei-wil-lig stören ließen.«
Die Studenten sahen sich stumm an: Zeiten mußten das gewesen sein!
»Nun aber doch zu unserem Thema, eine Fallstudie aus einer Zeit noch vor der eben gestreiften; aus einer Zeit, in der das entstand, was die Menschen später ›Kommunikationswissenschaft‹ nennen sollten und womit wir uns heute in der ›Archäologie der Manipulation‹ beschäftigen.«
Der Doktor II. Grades legte sein Vortragsmanuskript zurecht.
»Warum Frankenstein scheitern mußte«, begann er, »ich verzichte darauf, Ihnen Frankenstein vorzustellen, was Sie von ihm als Person wissen müssen, wird mein Referat erhellen: › Warum Frankenstein scheitern mußte, oder: Gesellschaftliche Strukturbedingungen der Öffentlichen Meinung‹.« Er hielt für einen Augenblick inne. »›Öffentliche Meinung‹ – das ist vielleicht doch ein Begriff, den ich kurz erklären sollte. Er war wichtig in einer Zeit, in der die Verantwortlichen sich hinter einem vagen ›Mehrheitsschutzschild‹ verbergen zu müssen glaubten, um ihren Geschäften nachgehen zu können.
Nehmen wir als Beispiel das, was fälschlich als ›Wahlen‹ ausgegeben wurde – ein Begriff, den Sie aus diversen Veranstaltungen zur ›Archäologie der Manipulation‹ auch schon kennen – auch im heute zur Debatte stehenden ›Fallbeispiel‹ wird das Phänomen ›Wahlen‹ eine Rolle spielen.
Nehmen wir also ›Wahlen‹: in der Praxis verlief das so, daß eine Gruppe machthungriger Funktionäre innerhalb einer politischen Gruppierung sich durch Geschäfte und
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