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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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alles, wirklich alles unterhalten. Das vermisse ich am meisten, daß ich ihr nicht mehr erzählen kann, was so vor sich geht.
    Ich gehe sie jeden zweiten Tag besuchen.
    Früher bin ich jeden Tag gegangen. Aber. – Es. – Schmerzt. – Zu sehr.«
    Sie tranken Tee. Caspar nippte daran und sagte, daß er sehr gut schmecke, aber ob Billy schon jemals Earl Grey probiert habe? Billy sagte, daß er nicht wisse, was das ist, und Caspar versprach, daß er ihm eine Dose mitbringen wolle, weil er nämlich ganz ausgezeichnet sei. Und so plauderten sie. Schließlich fragte Caspar: »Und wen haben Sie besucht?«
    Billy preßte die Lippen zusammen. »Nur einen Freund.« Mehr wollte er nicht sagen. Dann seufzte er und sagte: »Also, hören Sie, ich muß jetzt zur Arbeit gehen.«
    »Oh, was machen Sie denn?«
    Die Antwort kam zögernd. Als ob sich Billy Kinetta gewünscht hätte, er hätte antworten können, daß er in der Computerbranche tätig sei oder sein eigenes Geschäft habe oder irgendeine einigermaßen wichtige Position. »Ich bin Geschäftsführer des Nachtbetriebes bei Seven-Eleven.«
    »Ich wette, da kommen ein paar ganz schön faszinierende Leute zu Ihnen, die spät in der Nacht noch Milch brauchen oder irgendeine Schlüpfrigkeit«, sagte Caspar sanft. Er schien zu begreifen.
    Billy lächelte. Er nahm das als die freundliche Höflichkeit, als die diese Worte wohl gemeint waren. »Ja, die Spitze der Gesellschaft. Das heißt, falls sie mir nicht gerade drohen, mir ein Loch in den Kopf zu schießen, wenn ich den Safe nicht öffne.«
    »Darf ich Sie um einen Gefallen bitten?« fragte Caspar. »Ich muß mich noch ein bißchen erholen, wenn Sie nichts dagegen haben. Nur ein bißchen ausruhen. Ich könnte mich ein Weilchen aufs Sofa legen. Hätten Sie etwas dagegen? Haben Sie genügend Vertrauen zu mir, daß ich hier bleiben kann, während Sie weg sind, mein junger Freund?«
    Billy zögerte einen Moment lang. Der sehr alte Mann schien in Ordnung zu sein, kein Verrückter und sicher kein Dieb. Und was gab es bei ihm schon zu stehlen? Ein bißchen Tee, der nicht einmal Earl Grey war?
    »Sicher, das ist in Ordnung. Aber vor zwei Uhr in der Früh werde ich nicht zurückkommen. Also ziehen Sie einfach die Tür hinter sich zu, wenn Sie gehen; sie schließt automatisch.«
    Sie gaben sich die Hand, Billy schlüpfte in seinen immer noch nassen Trenchcoat und ging zur Tür. Er hielt inne, um noch einmal zu Caspar zurückzusehen, der in den länger werdenden Schatten des hereinbrechenden Abends dasaß. »Es hat mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben, Caspar.«
    »Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite, Billy. Sie sind ein sehr netter Kerl.«
    Und Billy ging zur Arbeit, allein wie immer.
     
    Als er gegen zwei Uhr nach Hause kam und vorhatte, eine Dose Bohnen aufzumachen, fand er den Tisch fertig gedeckt zum Essen vor, und ein Duft nach Eintopf mit Rindfleisch durchzog das Apartment aufs angenehmste. Es gab neue Kartoffeln und in Butter geschwenkte Möhren und Zucchini, die gerade richtig gegart waren, um einen knusprigen Biß zu haben. Und es gab Napfkuchen. Weißen Kuchen mit Schokoladenguß. Aus einer Konditorei.
    Auf diese Art, so sanft und glatt, schmuggelte sich Caspar in Billys Apartment und in sein Leben.
    Als sie bei Tee und Kuchen saßen, sagte Billy: »Sie haben wohl keine Bleibe, wie?«
    Der alte Mann lächelte und machte eine verächtliche Bewegung mit dem Kopf. »Nun, ich gehöre nicht zu den Leuten, die es auf Dauer ertragen können, heimatlos herumzustreifen, aber im Augenblick bin ich in einer Situation, die das fahrende Volk mit ›auf Reisen‹ umschreibt.«
    »Wenn Sie noch eine Zeitlang bleiben möchten, habe ich nichts dagegen«, sagte Billy. »Es ist zwar hier nicht allzu geräumig, aber ich glaube, wir kommen ganz gut zurecht.«
    »Das ist wahnsinnig freundlich von Ihnen, Billy. Ja, ich würde sehr gerne eine Zeitlang bei Ihnen wohnen. Es wird jedoch bestimmt nicht allzu lange dauern. Mein Arzt hat gesagt, mir bleibt nicht mehr viel Zeit auf dieser Welt.« Er machte eine Pause, sah in seine Teetasse und sagte mit leiser Stimme: »Ich muß gestehen … ich habe etwas Angst. Zu gehen, meine ich. Wenn ich jemanden hätte, mit dem ich reden könnte, wäre das eine große Erleichterung.«
    Und Billy erklärte völlig unvermittelt: »Ich habe einen Mann besucht, der in Vietnam in der gleichen Kompanie war wie ich. Ich gehe manchmal hin.« Aber seine Worte drückten so viel Schmerz aus, daß Caspar ihn nicht

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