Wassermans Roboter
Max Ernst, Gerôme, Richard Dadd, einen dezenten Feiniger –, die er in Wechselrahmen aufgehängt hatte. Eine Zeitlang saßen sie schweigend da und ruhten sich aus; dann wechselten sie murmelnd ein paar freundliche Belanglosigkeiten.
Schließlich sagte Caspar: »Ich habe viel über mein Sterben nachgedacht. Mir gefällt, was Woody Allen gesagt hat.«
Billy rutschte in seinem Sessel in eine bequemere Lage. »Was hat er denn gesagt?«
»Er sagte: ›Es macht mir nichts aus zu sterben, ich möchte nur nicht dabei sein, wenn es geschieht.‹«
Billy kicherte.
»So ähnlich ergeht es mir, Billy. Ich habe keine Angst davor zu gehen, aber ich möchte Minna nicht endgültig verlassen. Die viele Zeit, die ich mit ihr verbracht habe, die vielen Male, die ich mit ihr gesprochen habe, nun, die haben mir ein Gefühl gegeben, daß wir immer noch in Verbindung stehen. Wenn ich gehe, ist das auch das Ende von Minna. Sie wird dann ganz und gar tot sein. Wir haben keine Kinder, fast alle, die uns kannten, sind gestorben. Wir haben keine Verwandten. Und wir haben nie irgend etwas Bedeutendes vollbracht, für das wir in ein Buch der Rekorde kommen würden, das bedeutet dann also unser Ende.
Meinetwegen ist es mir egal, aber ich wünschte, irgend jemand würde sich an Minna erinnern … sie war ein bemerkenswerter Mensch.«
Also sagte Billy: »Erzähl mir von ihr! Ich werde mich für dich erinnern.«
Erinnerungen in keiner bestimmten Reihenfolge. Einige davon so stark wie Seile, an denen man das Meer an Land ziehen könnte. Einige zart schimmernd und beim leisesten Lufthauch schwankend wie ein Spinnennetz. Die ganze Person, jede kleine Bewegung, das Grübchen, das auf ihrer Wange erschien, wenn sie sich über etwas Dummes amüsierte, das sie gesagt hatte. Ihre gemeinsame Jugend, ihre Liebe, das Dahineilen der Tage, als sie sich ihren mittleren Jahren genähert hatten. Die kleinen Freuden und die Traurigkeit über unerfüllte Träume. So sprach er von ihr. Seine Stimme klang sanft und warm und war erfüllt von einer so tiefen und wahren Sehnsucht, daß er sich häufig unterbrechen mußte, da die Worte stockten und nicht herauskamen, bis er die überstarken Gefühle zurückgedrängt hatte. Er dachte an sie und war darüber glücklich. Er hatte sie wieder erstehen lassen, mit all der Liebe und Fürsorge, die sie ihm geschenkt hatte, ihren Kleidern und der Art, wie sie sie zu tragen pflegte, ihrem liebsten Schnickschnack, einigen wenigen klugen Bemerkungen: Er packte all das in einem Bündel zusammen und übergab es einem neuen Träger.
Der sehr alte Mann gab Minna zur Aufbewahrung an Billy Kinetta.
Die Morgendämmerung war angebrochen. Das Licht, das durch die Fensterläden hereinfiel, war safranfarben. »Ich danke dir, Alter«, sagte Billy. Er fand keine Worte für das Gefühl, das schon vor einigen Stunden in ihm hochgestiegen war. Aber folgendes konnte er sagen: »Ich war noch nie für irgend etwas oder irgend jemanden verantwortlich, in meinem ganzen Leben noch nicht. Ich habe niemals zu irgend jemandem gehört … Ich weiß nicht, warum. Ich habe mir nichts daraus gemacht, denn ich kannte es nicht anders.«
Er veränderte seine Sitzhaltung in dem Sessel. Er richtete sich auf eine Art und Weise auf, die Caspar bedeutsam vorkam. Als ob Billy im Begriff wäre, eine geheime Schachtel zu öffnen, die tief in seinem Innern vergraben war. Und Billy sprach so leise, daß sich der alte Mann anstrengen mußte, ihn zu verstehen.
»Ich habe ihn nicht einmal gekannt.
Wir verteidigten den Luftstützpunkt bei Danang. Habe ich dir gesagt, daß wir zum ersten Bataillon des neunten Marineinfanterie-Regiments gehörten? Charlie zog die Truppen für einen großen Schlag in der Provinz Quang Ngai, südlich von unserem Standort, zusammen. Es sah so aus, als hätten sie vor, die Provinzhauptstadt einzunehmen. Meine Schützenkompanie hatte den Auftrag, das Vorfeld zu sondieren. Die ständigen Patrouillen machten uns das Leben schwer. Jeden Tag verloren wir einen armen Hund, der für nichts und wieder nichts ins Gras beißen mußte. Es war Juni, Ende Juni, kalt und sehr regnerisch. In den Unterständen stand das Wasser hüfthoch.
Zuerst kamen Leuchtraketen. Dann eröffneten unsere Haubitzen das Feuer. Schließlich war der ganze Himmel voller Rauchspurgeschosse, und ich wollte mich gerade in die Büsche davonmachen, als ich etwas herannahen hörte. Und da kamen auch schon die beiden Soldaten der Hauptarmee in dunkelblauen Uniformen auf
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