Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
des Mantels und der Körper des alten Mannes hielten sein Handgelenk festgeklemmt. »Laß los, du alter Wichser!« brüllte er den sehr alten Mann an, der immer noch schreiend Schutz verlangte. Der andere junge Mann grunzte gereizt, dumpf wie der Matsch am Boden, während er auf das regennasse Haar seines Opfers einhämmerte. »Ich komm nicht … ich hab’ mich völlig verheddert … nimm du mal deine Hand da weg, damit ich …«
    Schreiend krümmte sich der alte Mann zusammen und hielt ihre Hände an seinem Körper gefangen.
    Doch schließlich konnte sich die Hand des Taschenplünderers befreien, und sie umklammerte einen Augenblick lang eine herrliche Taschenuhr.
    Das, was man eine Kavaliersuhr nannte.
    Das Zifferblatt war eine Cloisonne-Arbeit, unbeschreiblich edel.
    Das Gehäuse bestand aus Silber, so strahlend, daß es blau schimmerte.
    Die Zeiger, die die Form von Pfeilen hatten, waren golden. Sie bildeten ein spitzes V, standen genau auf elf Uhr. Das Geschehen spielte sich um dreiviertel vier nachmittags ab, bei Regen und Wind.
    Vom Uhrwerk hörte man keinen Laut, nicht den geringsten.
    Und plötzlich entstand um die Uhr herum ein Raum, und in dem Raum entwickelte sich Hitze. Glühende Hitze, einen Moment lang, gerade so lang, daß sich die Hand öffnete.
    Die Uhr glitt aus der Hand des Jungen und schwebte in der Luft.
    »Helfen Sie mir! Sie müssen mich beschützen!«
    Billy Kinetta hörte die Schreie, er sah jedoch nicht die Taschenuhr, die über dem fassungslosen jungen Mann in der Luft schwebte. Denn sie war silbern, und sie zeigte mit der schmalen Kante zu ihm, und der Regen war ebenfalls silbern und fiel schräg; und er sah nicht, wie die Uhr frei in der Luft schwebte, auch nicht, als der wildgewordene junge Mann sich aus dem Stoffgewirr befreite und danach grapschte. Billy sah nicht, daß die Uhr ein wenig höher stieg, gerade so viel, daß der Dieb sie nicht mehr erreichen konnte.
    Billy Kinetta sah die beiden Jungen, zwei junge Männer im Straßenbanden-Alter, die einen erheblich älteren Menschen zusammenschlugen, und er ging auf sie los. Poff, einfach so.
    Wild mit den Beinen fuchtelnd rollte sich der alte Mann hin und her – war mal oben, mal unten –, während der Junge, der ihn am Kragen festhielt, versuchte, ihm einen Schlag zu versetzen, um ihn abzuschütteln. Wer hätte gedacht, daß sich der alte Mann so heftig wehren würde?
    Eine um sich schlagende Gestalt, die etwas Unverständliches brüllte, rammte mit voller Wucht die Mitte der Gruppe. Die Hand in dem Schlaghandschuh griff einen Moment lang ins Leere, und die andere wurde unter ihrem Besitzer begraben, als der Junge einen Genickschlag versetzt bekam, der ihn mit dem Gesicht nach unten in den Matsch schickte. Er versuchte aufzustehen, aber etwas trat ihm mit voller Wucht in die Lendenwirbel, etwas trampelte auf seinen Nieren herum, etwas rollte sich über ihn wie ein Sturzbach.
    Immer noch unter wildem Hin- und Herdrehen stach der sehr alte Mann mit dem Daumen in das rechte Auge des Jungen, der ihn am Kragen festhielt.
    Der gewaltige Strudel im Trenchcoat, der Billy Kinetta war, wirbelte auf den Jungen zu, als er den alten Mann am Boden losgelassen hatte, und schlug unter Gebrüll mit der Handfläche auf sein schmerzendes Auge. Billy schloß die Finger zur Faust und lieferte eine Rundumdresche, durch die der Junge nach hinten taumelte und über Minnas abgesackten Grabstein fiel.
    Billy hatte dem alten Mann den Rücken zugekehrt. Er sah nicht, wie die wundersame Taschenuhr sachte emporstieg – durch den Regen, der sie nicht berührte –, um vor dem alten Mann in der Schwebe zu verharren. Er sah nicht, wie der alte Mann danach griff, sah nicht, wie sich der Zeitmesser in eine arthritische Hand kuschelte, sah nicht, wie der alte Mann das Prachtstück in einer Innentasche seines Jacketts verschwinden ließ.
    Der Wind, der Regen und Billy Kinetta peitschten zwei junge Männer, die nach dem Gesetz alt genug waren, um für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen zu werden. Das Messer, das in einem Stiefel steckte, konnten sie vergessen; es gab keine Chance daranzukommen, der tobende Billy erlaubte ihnen keinen Augenblick, sich aufzurichten. Also krochen sie davon. Sie robbten über den matschigen Boden, das rutschige Gras und über Gräber aus seiner Reichweite. Sie rannten, fielen hin, erhoben sich, fielen wieder hin – nur weg, ohne sich umzusehen.
    Billy Kinetta, der schwer atmete, machte kehrt, um dem alten Mann auf die Füße zu

Weitere Kostenlose Bücher