Wassermans Roboter
angefangen, ›Universal‹ zu lernen. Und dann kam Liebherr. Plötzlich besaß einer die Macht, ihn zu vernichten, bloß weil er sich schwer tat mit diesem Scheiß-Universal. Dabei war es die leichteste Sprache überhaupt. Auch als Liebherr weg war, konnte er den Rückstand nie mehr richtig aufholen. Als sie dann auf die Philippinen fuhren zum Universal World Con, nahmen sie ihn mit; gnadenhalber. Er verstand es schwer genug, wenn es die eigenen Leute redeten. Von den Philippinos verstand er kein Wort. Die anderen schämten sich. Und hinterher Gruppensitzungen, Gruppensitzungen, BA-29, von dem ihm immer so schlecht wurde, daß er zwei Tage nichts essen konnte. »Das verbessert die Merkfähigkeit«, sagte der Lehrbetreuer. Schmolzki hieß der oder so ähnlich. »Ihr Problem, Berger, ist eindeutig die Merkfähigkeit. Rein physiologisches Problem. Glauben Sie bloß nicht alles, was diese Spiris Ihnen erzählen. Wenn es nach mir ginge, dann BA-29, C4 und noch ein paar hübsche Brötchen, und Sie lernen diese Sachen wie ein junges Genie. Aber so … Ist eben alles ein Kompromiß, wissen Sie ja selbst. Kopf hoch, Berger, das schaffen Sie schon!« Berger sagte er. Das gefiel ihm. In der Gruppe sagten alle ›Paul‹ oder ›Pauli‹. Dieses ›Pauli‹ haßte er besonders. Aber kein lautes Wort dagegen. Sonst hieß es gleich: mangelnde Akzeptanz, mangelnde Einfühlung, zu niedriger Spiritualitätslevel. Und Schmolzki, als er ihm sein Leid klagte: »Ich will Ihnen mal was sagen, Berger. Ich mag Sie, und deswegen lehn’ ich mich wegen Ihnen auch weit aus dem Fenster, sehr weit. Wenn Sie weitererzählen, was ich Ihnen jetzt sage, bin ich weg, verstehen Sie das? – Also: Die machen Sie fertig, Mann, auf die sanfte Tour. Ich weiß das. Die Gruppe ist noch schlimmer als der Kurs. Ehe Sie sich’s versehen, hocken Sie heulend nur mit der Unterhose bekleidet in einem Kreis keifender Soft-Weiber. Die meinen das ernst mit Umbau, glauben Sie mir. Die bauen Sie um. Aber bevor sie dich umbauen, zerhacken sie dich in appetitliche, kleine Stückchen. Sie wissen nicht mehr, ob Sie Männlein oder Weiblein sind. Also reißen Sie sich am Riemen, schlucken das BA-29 und lernen dieses Scheiß-Universal. Dann haben die keine Handhabe.«
Berger hielt sich daran und teste sich; eisern. Und irgendwie hatte er es geschafft. Aber dann kam Variante Eins und alles ging von vorne los. Und Angst. Dauernd Angst. Angst, die Prüfung nicht zu schaffen. Angst vor jeder Kleinigkeit, jedem Vokabeltest. Über all diesen kleinen Ängsten hockte wie die Glucke über ihren Kücken die große Urangst vor dem Verlust der ›Anerkennung‹. ›Anerkennung‹ als Passiv Tätiger. Ohne Anerkennung kein Essen, keine Wohnung, kein Kab-Taxi, kein Auto, kein Leben.
Mit dem Kab-Taxi war es eine Viertelstunde Fahrt zum Studienzentrum. Er schob die graue Marke in den Schlitz und tippte das Ziel ein. Zwei Minuten später war die Kabine da. Kein Wunder. Er war spät dran. Sonst mußte er länger warten. Die Kabine war leer. Das war gut so. Er konnte jetzt kein Gegenüber brauchen. Unter ihm, auf der Straße schossen die Autos dahin. Das faszinierte ihn. Er hatte auch eins gehabt; Jahre her. Aber bei Variante 2 hatten sie es ihm weggenommen. Er konnte die Steuer nicht mehr bezahlen. 400 RE’s. Unerschwinglich für einen Variante-1-Wiederholer. BA-29 nützte da nichts mehr. Und das neue Designer-Zeug vertrug er schlecht. Hirnstromanomalien. Da hatten sie es aufgegeben. Seither machte er Grund- und Auffrischungskurse. Sie machten es ihm möglichst schwer, damit er halbwegs bei der Stange blieb. Nie bekam er soviel gutgeschrieben, daß er unabhängig davon hätte leben können. Immer hieß es: »Leichte Verbesserung der Leistung gegenüber dem letzten Kurs, durchaus. Aber im Schnitt der ganzen Klasse …« Klar: das Haben-Konto wurde nach Durchschnittswerten berechnet. Und da lag er weit darunter.
Die anderen waren jünger als er. Wie hätte er da mithalten sollen? »Von Rechts wegen«, sagte der Direktor bei jedem Kursschluß, »von Rechts wegen dürften wir Ihnen gar nicht so viel gutschreiben. Beten Sie zu Ihrem Gott, wenn Sie einen haben, daß nie eine Revision kommt.« (Der Direktor war religiös – auch so ein Skandal, ausgerechnet einen Religiösen Direktor werden zu lassen.) Von Rechts wegen, hieß das, hatte er Anspruch auf eine Summe, mit der er bequem verhungern konnte. Berger lebte vom Gehalt des Dozenten und dem der Tochter. Manchmal schämte er sich, daß
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