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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Soz-Behörde, nur bei sich selber. Denn diese Lösung wäre eine vollkommene Theorie der Gesellschaft – und diese Theorie, davon war Berger überzeugt, würde sich fundamental von dem Zeug unterscheiden, das sie einem in den Spezialkursen beibrachten, die alle ›Sozialisation und Interdependenz‹ hießen oder so ähnlich. Aber die wunderschöne Theorie hing von der ganz einfachen Frage ab, warum sie alle diese Sprachen lernen mußten. Berger konnte sich dafür keinen vernünftigen Grund vorstellen.
    »Sie sind auf Grund Ihres früheren Berufes zu stark dem Linearen verpflichtet«, sagten sie ihm.
    »Die Computer sind schuld. Bei den meisten, die damit zu tun hatten, ist es so. Geistig Gebildete tun sich viel leichter – Philosophen, Lehrer, Instruktoren, Journalisten. Journalisten tun sich besonders leicht. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Sie werden das schaffen. Alle haben es geschafft, letztendlich.«
    Berger hatte es nicht geschafft. Das wußte er. Ohne den Dozenten wäre er im Asyl gelandet und was immer man sich darüber erzählte, das Haus des Dozenten war sicher ein angenehmerer Ort. Und was hieß bitte ›letztendlich‹? In diesem Zusammenhang? Und was hieß ›schaffen‹? ›Schaffen‹ hieß ›acte‹, sogenannter Verbaloperator, der sich mit Hauptwörtern, mit Eigenschaftswörtern, mit anderen Verbaloperatoren verbinden konnte … Paragraph 6, ganz klar. Es fielen ihm diese Sentenzen ein, wenn er gar nicht danach suchte. Seite um Seite des Grammatiklehrbuchs sah er vor sich. Nur die Vokabeln, die fielen ihm nicht ein. Er besaß von all den neuen Sprachen exzellente Kenntnisse ihres inneren Aufbaus, aber nur spärliche Ahnung vom Wortschatz. Die anderen wendeten sich an Berger in grammatikalischen Fragen.
    »Du kannst es besser erklären als Schmarr«, sagte Leutold. Der saß eine Bank links von ihm. Leutold tat sich mit allem schwer, nicht nur mit der Grammatik. Ein Grenzfall. Es hieß, irgendein hohes Vieh halte seine schützende Hand über ihn. Bergers Erklärungen, so gut sie sein mochten (Berger war ein bißchen stolz darauf); diese Erläuterungen der Feinheiten von Variante 2 fruchteten nichts bei Leutold. Eine Woche später hatte er alles vergessen. Leutold war schwer, massiger Kopf. Wie ein Philosoph, dachte Berger. Ein Sitzriese. Jetzt saß er leicht zurückgelehnt mit offenem Mund in der Bank und beobachtete einen Punkt über der Wandtafel. Blaß sah er aus. Berger schaute nach vorn auf die Tafel. Schmarr redete und redete. Ich sollte aufpassen, dachte er. Ich muß wenigstens wissen, wovon er spricht. Er hatte diesen Vortrag schon fünfundzwanzigmal gehört, aber er mußte wenigstens wissen, welcher Vortrag es war. Sonst konnte ihn Schmarr mit einer Zwischenfrage überraschen und Punkte abziehen. Und der Dozent würde davon erfahren. Und es würde wieder einen Auftritt geben.
    Die Tafel war grün und riesig. Ein Museumsstück. Auch etwas, was Berger nicht verstand. Warum keine elektronischen Hilfsmittel? Warum mußten diese Sprachen so gelernt werden, wie vor 100 Jahren? Eine rein rhetorische Frage; eine innerlich rhetorische. Sie laut zu stellen, hätte er sich nie getraut. Er kannte auch niemanden, der schon einmal so gefragt hatte. Was würde geschehen? Wenn er jetzt einfach aufstünde und sagte: »Dozent Schmarr, ich hätte da eine Frage.«
    Schmarr würde überrascht sein. Daß Berger eine Frage stellte, war noch nie vorgekommen.
    »Warum lernen wir dieses ganze Zeug nicht mit C-17 und Tiefenhypnose? In vier Wochen hätten wir alles durch und könnten fließend sprechen. Warum quälen wir uns mit Heften und Stiften, warum, Dozent Schmarr?«
    Berger erschauerte wohlig, wenn er sich das ausmalte. Schmarr würde bleich werden. Oder rot. Er würde wortlos aus der Klasse stürzen. Oder gleich das Bewußtsein verlieren und an Ort und Stelle zusammenbrechen? Das wäre am besten. Sie könnten ihn aus dem Fenster schmeißen. Sagen, er hätte sich zu weit rausgelehnt, und da sei es eben geschehen, noch ehe jemand …
    Berger wurde aus diesen angenehmen Gedanken gerissen, weil es infernalisch stank. Wie beim Einlaufbauwerk der hydroponischen Farm. Scheiße, dachte er. Es riecht nach Scheiße. Leutold merkte es auch. Er gurgelte unverständlich, wie es Leute tun, die sich furchtbar aufregen und dabei verschlucken. Dann fiel er vom Stuhl und stöhnte. Er war schwer aufgeschlagen; aber Leutolds Stöhnen kam nicht daher, daß er sich etwas gebrochen hatte. Es kam von innen, ganz tief. Dort war

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