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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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sie sich so bemühen mußte bei ihren Kursen, nur damit er sündteuren Kaffee trinken konnte. Und Honig essen. Dabei redeten sie jetzt schon von Variante 4. Alle 10 Jahre eine neue Sprache. Kulturelle Fortentwicklung, hieß es. Für den Dozenten war er nur ein Klotz am Bein, das wußte er genau. Er hatte es nicht geschafft; klar. Na und? Martha hatte es schließlich auch nicht geschafft. Da waren die Richtigen zusammengekommen. Die Kabine kam an, und das war gut so. Er mußte sich aufs Aussteigen konzentrieren. Das Knie meldete sich wieder. So hatte er zu tun, eine Aufgabe. Er wollte nicht weinen, wenn er in die Klasse ging. Nicht schon wieder.
     
    Der Unterricht in vollem Gange; natürlich. Schmarr stand am Overhead und erklärte irgendwas. Berger hoffte auf das Halbdunkel, aber Schmarr machte sofort Licht.
    »Wir wollen kurz unterbrechen, damit Berger seine Sachen auspacken kann.« Alle schauten her. Irgendwer kicherte. Schmarr ignorierte es, löschte das Licht und setzte den Unterricht fort. Es war langweilig wie immer. Variante 2, Wiederholungskurs 4.
    »Senta ti petak alla fors«, dozierte Schmarr, »sneta to kaarragentscha …« Was hieß bloß ›petak‹, verdammt noch mal! Berger war sicher, das Wort erst kürzlich gehört zu haben. Aber in welchem Zusammenhang? »Der Zusammenhang ist wichtig bei Variante 2, eigentlich überhaupt das Wichtigste.«
    Berger schaute im Wörterbuch nach. Elektronische Hilfsmittel streng verboten. Petak. Da war es schon. ›Partizip perfekt von peta = ausführen, erläutern.‹ senta ti petak also wörtlich: Satz euch gesagt … ›Mit der Bedeutung‹, memorierte er mechanisch, ›daß eine Handlung in der Vergangenheit begonnen und beendet wurde, deren Wirkung aber bis in die Gegenwart andauert‹. Na also, es ging ja! ›Senta ti petak‹ – wie ich euch schon gesagt habe (und zwar so, daß ihr es behalten könnt, sollt, müßt) … so hieß das. Wirklich elegant, die Konstruktion. Berger war stolz, wenigstens das durchschaut zu haben. Aber was dann kam … Schmarr hatte weitergeredet und Berger hatte es nicht mitbekommen. Und so war es immer. Aber wenigstens schien Schmarr heute nicht so schlechter Stimmung zu sein wie sonst. Er dozierte in einem langsamen, quäkenden Tonfall, den er vermutlich für didaktisch besonders nützlich und einprägsam hielt. Es ging um die Stellung des Perfekts an: Satzende – eine der wenigen Ausnahmen, mit denen Variante 2 aufwarten konnte. »Ohne alle Ausnahmen ist eine Sprache zu schwer zu lernen«, hieß es. Berger döste vor sich hin. Schmarr war geschlagen mit diesem Organ und noch mehr alle, die ihm zuhören mußten. Der Tonfall schon richtig – schön einschläfernd, aber die Tonhöhe stimmte nicht; ein beunruhigendes, schepperndes Geräusch mit Alarmqualitäten.
    »So«, sagte Schmarr und schaltete die Beleuchtung wieder ein, »und nun wollen wir uns das fürs nächstemal notieren.«
    Er ging zur Tafel, um das aufzuzeichnen, was er eben des langen und breiten am Overhead erklärt hatte. Ein richtiger Idiotenkurs.
     
    Berger schaute sich um. Die Klasse gut in Schuß. Kowalski schien unüblich nüchtern, aber sehr müde. Er kämpfte damit, die Augen offenzuhalten. Erna, eine dicke, alte Frau, deren Nachnamen niemand kannte, schrieb in ihr Heft. Sie war kurzsichtig und trug eine starke Brille. Dennoch hatte sie die Nase kaum 10 Zentimeter vom Papier. Ihre Augen, klagte sie, würden immer schlechter. Berger seufzte und schlug das Heft auf. Ernas Soz-Level war noch niedriger als sein eigener. Da konnte sie nicht auf eine neue Brille hoffen.
    Ein paar von den Leuten, die hier sein sollten, fehlten immer. Breumann hatte er lange nicht mehr gesehen. Ein Gerücht besagte, er sei ins Asyl gekommen; das Gedächtnis oder so. Pech für Breumann. Die anderen sahen so aus, als stehe ihnen das Asyl unmittelbar bevor. Sie waren alle in Bergers Alter oder jünger. Und alle seit unterschiedlich vielen Jahren damit beschäftigt, Sprachen zu lernen, die es früher gar nicht gab. Wenn es langweilig wurde – so langweilig, daß es gleichsam nicht mehr auszuhalten war, denn langweilig war es immer – dann überdachte Berger immer das kleine, stets gleichbleibende, sich aber ungeheuer ausufernde Problem. Er wälzte dieses Problem schon Jahrzehnte und war zu keiner schlüssigen Lösung gekommen. Vielleicht machte er einen grundlegenden Denkfehler. Eine Lösung hätte ihm, so dachte er, den Status eines Weisesten der Weisen verschafft, nicht bei der

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