Wassermans Roboter
aber er hatte Angst, daß die zwei Barbaren mit ihrer schrecklichen Sprache zurückkehren würden. Was mochten sie nur sagen? »Radni pai plok pen dao!« schnaubten sie zum Beispiel. »Wi nikai pro pilkawo prontenai!« Er hätte es Wort für Wort aufschreiben können. Diese Sprache ähnelte keiner anderen Sprache, von der er je gehört hatte. Aber diese Männer, die Soldaten, das waren Sibiriaken, davon war er überzeugt. Diese verbissenen Gesichter. Und wie sie ihren Mund verzogen. Und die Form ihrer Nasen. »Ritschi kawo peke mardul pru ennai!« – »Tscha mil enkawe paksiprok umbi!« … Da waren sie schon wieder!
Im Zimmer war es angenehm warm geworden, und Brahma spendete ein klares Licht, durch das sich auf dem Boden und auf der Matte Schatten bildeten. Duiker schaute auf die Astro-Pendüle. Das Zeichen des Schützen hatte den Zenit passiert. Er war wohl wieder eingenickt, obgleich er das Gefühl hatte, nur ganz kurz den beiden Sibiriaken in ihrem Panzerpferd zugeschaut zu haben.
Unwillkürlich fiel sein Blick auf den Schädel, der auf dem Kaminsims stand. Plastikzähne glänzten weiß in den fossilen Kiefern. Duiker war jeden Tag wieder von neuem stolz auf diesen Besitz, dessen sich selbst die Universität nicht – mehr – rühmen konnte, seit er sie verlassen hatte. Er hatte allen immer wieder erzählt, Conan sei eine Kopie; doch die Kopie stand in Wirklichkeit im Universitätsmuseum, und der echte Neandertaler hier bei ihm auf dem Kamin. Duiker wußte nicht einmal mehr, ob er ihr dieses Geheimnis jemals anvertraut hatte.
Er wollte sie nun doch wecken. Aua! Sein Rücken.
Kurz danach, als sein Frauchen in die Küche geschlurft war, rasierte er in der Hygienezelle seine Stoppeln ab und ging dann ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Schuhe besaßen sie nicht mehr – wozu auch –, doch er tat sein Bestes, sich für sie wie ein Mensch zurechtzumachen, obwohl er befürchtete, daß sie keinen Blick mehr dafür hatte.
Nach dem Frühstück räumte er ab, und während sie den Abwasch erledigte, legte er schon die Tarotkarten auf dem Tischchen mit der schweren Samtdecke bereit, das am Fenster stand. Sie spielten jeden Abend. Es war ein Ritual: Die Karten und das, was sie besagten, hatte für sie eine besondere Bedeutung bekommen.
Unser ganzes Dasein ist zu einem Ritual geworden, dachte er niedergeschlagen. Wir sind eigentlich schon tot, wir bewegen uns nur noch. Er warf einen Blick auf seine Bioenergie-Uhr. Kein Wunder, daß er solche Gedanken hatte: Die Kurven standen fast alle fünf sehr niedrig. Ein böses Vorzeichen. Er würde heute am besten überhaupt nichts tun, nur ruhig in seinem Sessel sitzenbleiben, das war am sichersten.
Sie legten die Karten ganz langsam, eine nach der anderen, aus, um die Zeit zu füllen. Auch heute zeigten sie nichts Besonderes an, und das sagte er ihr. Was hat der Turm dann hier zu suchen? schrieb sie auf den Block. Doch Duiker fand nichts Außergewöhnliches daran und zuckte die Achseln. Der Mond war aufgegangen und ergoß sein Licht über das Tischchen, über die Karten und über die Hände der beiden Alten. Er ließ die Adern so dick und die Falten so tief wirken, daß er fast erschrocken wäre. Atman! Wie lange würde es noch dauern, bis der Tod aus dem Spiel oben lag und auf einen von ihnen deuten würde?
Das Frauchen räumte die Karten weg, und Duiker machte sich in der kleinen Küche vorsichtig an die Arbeit mit der Kaffeemaschine – zum Glück funktionierte sie noch problemlos. Er blieb in der Küche, bis der Kaffee fertig war und das violette Lämpchen aufleuchtete. Sie achteten darauf, möglichst keine einzige Minute zusammen zu sein. Selbst in einer solch kleinen Wohneinheit gab es noch Möglichkeiten, einander Raum und Ruhe zu gönnen. Er selbst brauchte es außerdem, hin und wieder beobachtet vor sich hin grübeln zu können.
Sie hatte das I Ging in dem Seidentuch aus dem Glasschrank genommen und die Lackschachtel mit den Schafgarbenstengeln bereitgestellt. Doch zuerst mußte der Kaffee eingeschenkt werden. Vorsichtig, als ob sie selbst aus Porzellan wäre, setzte das Frauchen die Tassen auf den Tisch. Dennoch hätte sie fast eine Untertasse zerbrochen, als sie plötzlich eine heftige Bewegung machte.
Duiker sah, daß sich ihre Lippen bewegten.
»Was?« fragte er.
Es hat geklingelt, schrieb sie auf den Block. Ihre Hand zitterte.
»Ich habe nichts gehört.«
Sie lächelte schwach. Wer kann das sein? Doch während er die Achseln zuckte, schlurfte sie schon
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