Wassermans Roboter
dunkel wurde es nie; selbst wenn keine Satelliten am Himmel standen oder wenn sie durch dichte Wolken verdeckt waren, war der Himmel schwach von der Stadtbeleuchtung erhellt, die eingeschaltet blieb, bis der Himmel fahl wurde.
Duiker war gut gelaunt und schlug vor, Drangeons zu spielen; vielleicht war das zu dritt noch besser als zu zweit. Doch sein kleines Frauchen war heute besonders eigensinnig. Sie bestand darauf, das I Ging wieder hervorzuholen. Und ihm war auch nicht verborgen geblieben, daß sie ganz unauffällig den Aurataster aus der Schublade genommen hatte. Jetzt lag er auf dem Schränkchen. Sie wollte offenbar unbemerkt seine Aura messen – oder die des Roboters. Hatten Roboter …?
Sie saßen am kleinen Tisch am Fenster und zählten die Schafgarbenstengel. Selbstverständlich hatte sich Bally dazugesetzt. Guai, das dreiundvierzigste Zeichen … Fünf Yang-Linien und darüber ein altes Yin. Er nahm sich gewöhnlich viel Zeit, um das Urteil und das Bild vorzulesen, und dann besprachen sie zusammen, was dies alles für ihr Leben bedeuten mochte, doch jetzt las er sofort Tsjowfs Text zu der beweglichen Linie – darum ging es ja schließlich.
Kein Ruf! Schließlich kommt Unheil. Das klang wie eine Drohung! Schnell las er den Kommentar durch, bevor er laut den Kernsatz zitierte: Es sieht alles ganz leicht aus. Aber gerade darin besteht die Gefahr. Wenn man nicht auf der Hut ist, gelingt es dem Bösen, durch Verdeckung zu entkommen; und wenn es erst entgangen ist, so entsteht neues Unheil aus den übriggebliebenen Keimen; denn das Böse stirbt nicht leicht.
Er fühlte sich unwohl und wollte nicht darüber sprechen. Hatte das Ganze etwas mit dem Roboter zu tun? Schweigend las er noch einmal die Passage, die er beim Vorlesen ausgelassen hatte: Der Sieg scheint errungen zu sein. Es ist nur noch ein Rest übrig von dem Bösen, dessen entschlossene Ausrottung an der Zeit ist … Auch beim Bösen des eigenen Charakters muß man gründliche Arbeit tun. Wenn man nachlässigerweise etwas übriglassen wollte, so würde daraus neues Übel entstehen.
Böses … Ausrotten … Das waren furchtbare Worte. Er saß bestürzt da, und auch seiner Frau und dem unerwarteten Besucher schien es die Sprache verschlagen zu haben. Schließlich verschwand das Menschlein in der Küche, um Tee zu machen.
Die Stille, die zurückblieb, verwandelte sich für Duiker zu einem eigensinnigen Schweigen. Wenn dieser aufgemotzte Kaugummiautomat auch nur irgendeinen Wert hätte, dann sollte er das jetzt mal beweisen. Autsch! Sein Rücken!
4
Die alte Frau Duiker wartete darauf, daß der Wasserkessel zu singen anfinge, und dachte währenddessen an Vik. Er war viel zu schnell wieder fortgegangen. Sie hätte ihn am liebsten festgehalten. Es war so schön für sie, ihren großen Sohn zu sehen – sein Kopf reichte fast bis an die Decke. Sie mochte es so, wenn er lachte. Daß er seine Zunge nicht im Zaum halten konnte! Aber was machte das schon aus. Wenn er es früher gewagt hätte, ihr Instrument »Jammerholz« zu nennen, hätte ihm was geblüht! So ein Schatz, dachte sie, während sie den Tee aufgoß, daß er an unseren Hochzeitstag gedacht hat! Goldene Hochzeit – das klang wie aus dem vorigen Jahrhundert, und so war es natürlich auch. Leise summte sie eine Passage aus Harold in Italien vor sich hin. Wer heiratete denn heutzutage noch? Die Welt bestand aus flüchtigen Beziehungen. Daß sie ihre Veronika noch hatte überzeugen können … Aber das war ja auch nicht gut gegangen …
Ihr Ehemann und der Androide spielten Dame. Sie hatten den kleinen Tisch näher an den Kamin und an die Stehlampe gerückt. Wie gemütlich, dachte Frau Duiker, während sie den Tee einschenkte: Das Lampenlicht, das Klicken der Steine, der Rauch von Onnos Zigarre, die kein Ende zu nehmen schien …
Sie brachte ihm seinen Tee – den Androiden überging sie – und hielt den Aurataster schnell hinter seinen Kopf. Er war so in Gedanken vertieft, daß er es nicht merkte. Sie ging zum Fenster – eine schwarze Wolkendecke, die da und dort mit goldenen Flecken geschmückt war – und las den Taster ab. Die Ausstrahlung war schwach, die Elemente gesund. Kein Grund zur Sorge.
Doch sie machte sich Sorgen über die sechste Linie von Guai. Der Alte hätte es ihretwegen gar nicht vorzulesen brauchen, sie kannte den Text ohnehin auswendig. Guai war kein übles Zeichen, wohl aber eines, das warnte und mahnte. Nicht fördernd ist es, zu den Waffen zu greifen. Fördernd
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