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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Wimper. Sie steht auf, tritt zu einem Möbelstück und drückt einige Knöpfe auf einem weißen Schaltbrett. Sie bleibt mit dem Rücken zu John stehen, während die Musik aus den unsichtbaren Stereolautsprechern dringt und überall im Haus zu hören ist.
    »Viktor ist nicht tot«, widerspricht sie seltsam entrückt.
    John tritt zu ihr, legt ihr den Arm um die Schultern.
    »Hör mich an, Edith! Du mußt mir vertrauen, ich bin dein Bruder …«
    »Viktor ist nicht tot.«
    »Ich kenne einen guten Arzt. Wenn du willst …«
    Edith macht sich heftig von ihm frei. »Ich bin noch nicht verrückt. Noch nicht.«
    »Ach, darum handelt es sich doch nicht. Amanda und ich lassen uns auch jeden Monat untersuchen. Wenn du einverstanden bist, hole ich Doktor Schuppe. In einer knappen Stunde bin ich wieder da.«
    »Ich bin noch nicht verrückt«, wiederholt Edith. Sie drückt wieder auf einen Knopf, und die Musik wird lauter.
    »Leiser!« verlangt John ärgerlich.
    »Nein, es ist die Coriolan- Ouvertüre, Viktors Lieblingsstück.«
    »Hör auf!« schreit John wütend. »Für wen ist diese Musik eigentlich bestimmt? Für dich oder für ihn? Du hast die Stereoanlage auch für ihn eingeschaltet, als könne er etwas empfinden.«
    »Es ist so, als würde er etwas empfinden.«
    »Hör doch auf! Er schlägt mit der Hand oder dem Fuß den Takt, aber es handelt sich um eine elektronisch gesteuerte Reaktion. Er fühlt nichts, Edith, er hat keine Seele, begreifst du das nicht?«
    Ein merkwürdiges Lächeln tritt auf Ediths Gesicht.
    »Ich weiß, er ist nur ein Roboter. Aber ich bin dennoch glücklich.« Sie lacht silberhell, aber das Gelächter geht plötzlich in keuchendes Schluchzen über. »Du bist ein Idiot, John. Hörst du die Musik? Du verstehst nämlich nichts. Wenn Viktor Komponist gewesen wäre, würde ich den Rest meines Lebens in der Erinnerung an ihn verbringen, durch seine Schöpfungen immer noch mit ihm verbunden sein. John! Viktor war Wissenschaftler. Drüben in dem Zimmer befindet sich sein Werk, sein Geschöpf. Ich weiß, er ist ein Roboter, ein Gebilde aus Sicherungen und Drähten. Aber Viktor hat ihn geschaffen, hat ihm seine Gesichtszüge, seine Stimme, seine Bewegungen und seine Erinnerungen gegeben.«
    Sie unterbricht sich, verschränkt die Finger. »Du … du kannst nicht wissen, was ich empfinde, wenn er liest, wenn er schreibt, wenn er lernt …«
    John wird blaß.
    »Er lernt?«
    »Ja. Er weiß jetzt Dinge, die er früher nicht gewußt hat, die nicht einmal Viktor gewußt hat.«
    »Du bist verwirrt, Edith. Du redest dir ein, daß es sich so verhält, versuchst, dich selbst davon zu überzeugen. Du weißt genau, daß Roboter nicht lernen können.«
    »Da irrst du dich.«
    »Schön, dann irre ich mich eben. Aber du wirst schließlich wirklich erkranken. Eines Tages wirst du davon überzeugt sein, daß dieser Roboter tatsächlich Viktor ist.«
    »Das ist schon geschehen« – Edith scheint mit sich selbst zu sprechen –, »und es geschieht immer öfter, jeden Tag, jede Stunde. Es ist so leicht, die Realität mit der Illusion zu verwechseln, und es wird immer leichter. Ich weiß, daß ich wahnsinnig werde. Aber ich habe keine Angst vor dem Wahnsinn, ich sehne mich nach ihm.«
    »Du bist krank, Edith. Ich hole einen Arzt.«
    »Das würde nichts nützen: Ich will nicht gesund werden.« In ihre Augen tritt plötzlich ein drohender Ausdruck, und sie weicht an die Wand zurück, als wolle sie sich schützen. »Du willst mir Viktor wegnehmen. Ich weiß, daß du ihn mir entreißen willst.«

    »Beruhige dich, Edith! Ich möchte nur, daß du dich untersuchen läßt.«
    Jetzt bricht Edith in Tränen aus. »Du wirst bestimmt nicht versuchen, ihn mir wegzunehmen?«
    »Nein, ich verspreche es dir. Und jetzt laß mich gehen. In einer Stunde bin ich mit Doktor Schuppe wieder zurück.«
     
    Viktor sitzt immer noch am Tisch, er zerschneidet wieder einen Papierstreifen. Edith sitzt am Kamin.
    »Vik«, ruft sie leise.
    Viktor hebt kaum den Blick. Er arbeitet weiter.
    »Vik«, ruft Edith wieder. »Setz dich hierher, zum Feuer!«
    Vik trennt sich widerwillig von seiner Tätigkeit, geht zu ihr hinüber und läßt sich auf das Sofa sinken. Jetzt betrachten beide die rote Flamme, die aus dem duftenden Holzscheit schlägt. Die Frau beginnt zu sprechen.
    »Erinnerst du dich an den Sommer 41, Viktor?«
    »Natürlich. Wir haben ihn am Ontariosee verbracht.«
    »Es hat dir Spaß gemacht, dort zu angeln, nicht wahr?«
    »Ja. Ich habe geangelt, und du

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