Wassermans Roboter
nicht kontrollierbar. Na, jedenfalls ist das Haus jetzt umstellt.«
»Glaubst du, daß Edith sich in Gefahr befindet?«
»Im Augenblick nicht. Viktor hat sie bestimmt nicht gehaßt.«
Amanda beginnt zu lachen.
»Deine Schwester hat wirklich Glück! Zuerst Viktor, ein Mann, der überall bewundert wurde, eine Liebe, die ihrem Leben Sinn verlieh. Und jetzt der Roboter. Ein verliebter Roboter, der sie mit Liebe und Aufmerksamkeiten überhäuft.«
Es ist ein schmerzliches Lachen, aber das bemerkt John nicht.
Das Telefon läutet. John drückt den Knopf, und auf dem Video erscheint ein Mann in Uniform: »Guten Tag, Mister Rawling. Ich bin Sergeant Hawk. Der Major hat beschlossen, die Tür mit Gewalt zu öffnen, will aber, daß Sie dabei anwesend sind.«
»Antwortet im Haus niemand?«
»Nein, seit einigen Stunden herrscht absolute Stille. Der Roboter muß die Kommunikationsanlage ausgeschaltet haben: Auch am Telefon meldet sich niemand.«
»Ich weiß. Bestellen Sie dem Major, daß ich sofort komme.«
Amanda lacht noch immer. John sieht sie böse an.
»Bleib nicht wie angewurzelt stehen!« Amandas Stimme klingt schrill. »Solange du nicht dabei bist, geht der Schlußakt nicht über die Bühne. Deine Schwester wird zum zweiten Mal Witwe, aber diesmal wird es kein Begräbnis geben.«
Als John bei Ediths Haus eintrifft, sieht er, daß hinter jedem Busch ein Mann in Deckung gegangen ist.
»Ich halte es nicht mehr aus«, erklärt Major Derek. »Diese Musik … Mir platzt der Kopf. Drinnen muß etwas vorgefallen sein. Seit drei Stunden läuft die gleiche Platte.«
»Sie meinen drei Tage, Major. Edith hat seit über drei Tagen die Stereoanlage auf die Coriolan- Ouvertüre blockiert.«
Der Major sieht auf die Uhr.
»Ich lasse jetzt das Schloß sprengen, nicht nur bei der Eingangstür, sondern auch beim Dienstboteneingang, und außerdem brechen wir die Fenster auf. Wir greifen von mehreren Seiten gleichzeitig an.«
»Major«, stottert John, »meine Schwester …«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Ich gebe Ihnen ein Zeichen, sobald Sie nachkommen können.«
John wendet dem Gebäude den Rücken zu, während der Major sich entfernt. Er hört ein leises Summen, noch einmal, das geschmolzene Metall zischt, dann dringt die Musik laut, heftig aus dem Haus, als breche sie daraus hervor. John hält sich die Ohren zu, die Zeit steht still, als hätte sie sich vom rhythmischen Pulsschlag der Arterien befreit.
Endlich erscheint jemand auf der Schwelle. Es ist Sergeant Hawk, der ihm winkt. John läuft durch den Garten, stürzt durch die Tür und den Korridor in das Studio.
Edith liegt bleich auf dem Sofa, den Kopf nach vorne geneigt. In der Hand hält sie noch das Giftfläschchen.
In ihrem roten Kleid sieht sie schön aus, ihr Gesicht wirkt entspannt, beinahe heiter. Neben ihr ist Viktor zusammengesunken, sein zertrümmerter Kopf liegt in ihrem Schoß.
John tritt näher. Die hautartige Schicht und das Plastikgewebe klaffen bis zum Hals auseinander, und aus dem Riß ragen Drähte heraus. John sieht zahllose farbige Stifte, eine Menge winziger Verstärker und Transistoren, dazwischen glänzende Spulen.
Er lehnt sich erschöpft an den Kamin.
»Sie muß ihn von hinten erschlagen haben«, sagt der Major. »Damit.« Er zeigt auf die Hacke neben dem Kamin.
John senkt den Kopf. Edith wußte, daß man ihn ihr weggenommen, daß man ihn zerstört, vernichtet hätte …
»Sie hat vorgezogen, es selbst zu tun«, murmelt er. »Mit ihren eigenen Händen.«
Die unerträgliche Musik erklingt noch immer. Sie umfängt die Gegenstände, die Möbel, erfüllt das ganze Haus, dringt in die Gedanken ein, verschlingt das Gehirn wie ein gefräßiges Ungeheuer.
Major Derek tritt zum Schaltbrett für die Stereoanlage und drückt einen Knopf. Der letzte Ton bleibt in der Luft hängen. Einen Augenblick lang.
Trotz des Lärms, der Schritte, des Stimmengewirrs herrscht jetzt im Zimmer vollkommene Stille.
Originaltitel: »Doppio psicosomatico«
Copyright © 1982 by Lino Aldani
Aus dem Italienischen übersetzt von Hilde Linnert
Illustriert von Bruno Gräf
Richard Stone
Wassermans Roboter
Am 13. November 2036 tappte in einer Wohnstraße des New Yorker Stadtteils Bronx gegen 17.15 Uhr eine graue Gestalt vorsichtig Schritt für Schritt durch den sachte tauenden Schnee auf dem Bürgersteig.
Sie sah aus wie ein Mensch, trug einen dicken grauen Mantel gegen die Winterkälte, einen Schal, einen Filzhut, eine wollene Hose, Überschuhe und
Weitere Kostenlose Bücher