Wassermans Roboter
bist in der Sonne gelegen.«
Edith lächelt. Sie rückt näher zu ihm, lehnt sich beinahe an seine Schulter.
»Erinnerst du dich an das Museum von Toronto? Du hast mir die Flachreliefs ›Der Fortschritt‹ gezeigt, die früher einmal den Bahnhof von Montreal schmückten, bevor er niedergerissen wurde. Du warst an diesem Tag so fröhlich. Weißt du noch, Vik? Du standest vor den Flachreliefs und redetest wie ein Buch. Das war im Herbst 44.«
»43«, stellte Viktor richtig.
Edith lächelt wieder. »Ich weiß. Ich wollte nur sehen, ob du dich genau erinnerst.«
Sie plaudern noch lange miteinander. Dann wird Ediths Stimme leiser, eine merkwürdige, süße Schwäche erfaßt ihre Glieder, und in ihrem Geist herrscht das Chaos. Wirklichkeit, Traum, Halluzination, Vergangenheit, Gegenwart: ein verwirrendes Durcheinander von Bildern, ein Wirbel unbeherrschter Gefühle.
Seine weiche, tiefe Stimme läßt sie zusammenzucken.
»Sie wollen mich von hier fortbringen, nicht wahr?«
Edith erschauert. Viktor hat sich nicht gerührt, er betrachtet das brennende Scheit im Kamin.
»Noch nicht«, flüstert Edith. »Noch nicht.«
Dann fixiert auch sie die roten Zungen der knisternden Flammen.
Doktor Schuppe wird im Heliojet übel.
»Mister Rawling«, wiederholt er immerzu, während er mit John nach Virden fliegt, »ich versichere Ihnen, Mister Rawling, daß ich nur deshalb mitkomme, um den Roboter zu sehen.«
Unter ihnen die Transkanadische: ein langes, glitzerndes Stahlband, das sich durch die Wälder windet. Riesige Transporter gleiten zwanzig Zentimeter über dem Erdboden auf Luftkissen die vier Fahrbahnen entlang.
»Wer hat ihn reaktiviert?« fragt Doktor Schuppe.
»Ich verstehe nicht.«
»Den Roboter. Wer hat ihn reaktiviert?«
John schaltet auf Automatik.
»Vielleicht Edith selbst, ich weiß es nicht. Vielleicht hat sie einen Fachmann für Kybernetik damit beauftragt. Ich weiß nur, daß ich eines Tages das Studio betreten und Viktor gegenübergestanden habe.«
Doktor Schuppe ist ratlos. Er drückt sich immerfort eine Hand auf den Magen und fährt sich mit der anderen von Zeit zu Zeit durch den Spitzbart.
»Ist er wirklich wie wir?« fragt er.
»Wie bitte?«
»Der Roboter. Sie haben mir erzählt, daß er wie ein echter Mensch aus Fleisch und Blut aussieht.«
»Ja, das stimmt. Er ist eine genaue Kopie von Viktor, sein Doppelgänger: Augen, Haare, die Runzeln im Gesicht, sogar der Leberfleck auf dem Hals. Alles wie bei Viktor.«
Der Arzt schüttelt zweifelnd den Kopf. Er hat vor acht oder zehn Minuten im New Canadian Journal of Research einen langen Artikel gelesen, der nur für Fachleute auf dem Gebiet der Roboterwissenschaft verständlich war. Viktor Curwood hatte die Technik der Galvanoplastik zur Erzeugung von künstlicher Haut verwendet. Aber im Artikel stand noch mehr. Es war von einer engrammischen Spule die Rede, die theoretisch das Gehirn eines Menschen vollkommen naturgetreu reproduzieren könne – mit allen Erinnerungen, Erfahrungen, Gewohnheiten. Kurz, Curwood behauptete, daß er ein psychosomatisches Doppel konstruieren könne. Natürlich hatte die Kontrollkommission der Regierung das Projekt gestoppt und Viktor verboten, seine Forschungen weiterzuführen. Niemand ahnte jedoch, daß er bereits ein überaus geglücktes Exemplar hergestellt hatte, für das er selbst Modell gestanden hatte, und daß er es in seiner Werkstatt vor neugierigen Augen versteckt hielt.
»Ganz schön verrückt«, murmelt Doktor Schuppe. »Ihr Schwager, meine ich. Ein Sonderling.«
»O ja«, stimmt John zu. »Wer weiß, was er noch erfunden hätte, aber …«
»Einen Augenblick. Jetzt erinnere ich mich, es handelte sich doch um einen Flugunfall, nicht wahr?«
»Ja, er ist in seinem Heliojet verbrannt.«
Schuppe schweigt, sinkt auf seinem Sitz zusammen und hält die Luft an.
»Noch etwas, Doktor«, sagt John. »Es wäre besser, wenn Sie nicht zu deutlich zeigen, wie sehr Sie der Roboter interessiert. Warten Sie, bis Edith Sie ins Studio bittet, nachdem Sie sie untersucht haben.«
»Gut.«
»Glauben Sie, daß das Hypnophen meiner Schwester helfen könnte?«
»Nein. Das Hypnophen ist eine Flucht. Ihre Schwester muß hingegen den Tod ihres Mannes akzeptieren. Anscheinend hängt sie verzweifelt an dieser Nachahmung. Ich will ehrlich sein, Mister Rawling. Ich bin kein Spezialist für Geisteskrankheiten. Aber meiner Meinung nach … Kurz, wenn ich eine Einweisung in eine Anstalt für geboten halte, werde ich es Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher