Wassermans Roboter
Sie wird immerzu sein Foto betrachten und schließlich verrückt werden.«
»Es ist kein Foto«, berichtigt ihn Amanda. »Was Edith in ihrem Haus versteckt hält, ist etwas ganz anderes als ein Foto.«
»Also schön, es ist kein Foto. Es ist ein Automat, eine Kiste voller Getriebe, okay. Es ist ein körperliches Doppel, nenn es, wie du willst, aber für sie ist es Viktor, begreifst du denn nicht? Wir haben schon hundertmal darüber gesprochen. Du hast eine schmutzige Phantasie, Amanda, weil du so viel Hypnophen rauchst, und jetzt hast du nichts Besseres zu tun, als meine Schwester schlecht zu machen.«
Amanda zuckt die Achseln und tritt ans Fenster. »Laß mich allein!« zischt sie. »Du hast es geschafft, mir den Tag zu verderben. Verschwinde!«
Eine lange Pause folgt, dann hört man gedämpfte Schritte auf dem Teppich, schließlich fällt die Tür krachend ins Schloß.
Amanda bleibt noch einige Zeit am Fenster stehen. Sie spürt, wie die Zimmerdecke leise vibriert: John startet auf der Terrasse den Helijet. Sie zieht die Gardine zur Seite und sieht zu, wie sich das silberne Schiff hoch oben rasch entfernt.
John hat sich verändert, ist anders geworden. Er ist störrisch, verschlossen, hart. Vielleicht hat auch sie sich verändert, vielleicht liebt John sie deshalb nicht mehr. Wer ist daran schuld? Er? Sie? Oder die Umstände? Sie ist verwirrt. Amandas Herz ist zu klein, als daß sie mit der Welt fertigwerden könnte, einer absurden Welt, in der man mit fünfunddreißig Jahren in Pension gehen muß, in der das Haus voller Roboter ist, die einem jeden Handgriff abnehmen, so daß man nichts, überhaupt nichts zu tun hat. Was soll man mit seiner Zeit anfangen? Wie soll man in diesem zähen Ozean aus Trägheit und Eintönigkeit nicht untergehen? Es gibt kein Vergnügen, das nicht nach einer Stunde oder einer Minute langweilig und banal wirkt.
Sie sollten ein Hobby haben, hat ihr einmal Doktor Schuppe geraten. Darauf hatte sie zu lachen begonnen: Die Hobbies sind nur ein geschickter Selbstbetrug, ein Beruhigungsmittel. Ein Hobby? Die ganze Welt ist doch ein riesiges, lächerliches Hobby. Millionen Dichter, Maler, Abermillionen Meistersportler, Bridgespieler: ein Haufen Komödianten, die so tun, als würden sie sich für etwas interessieren, um nicht überzuschnappen.
Doktor Schuppe hat nie etwas begriffen. Sie hat das Bedürfnis nach Liebe, das zwingende Bedürfnis, ihrem Dasein einen Sinn zu geben, die schreckliche Leere zu vertreiben, von jemandem gebraucht zu werden.
Amanda kehrt zum Fauteuil zurück, verstellt die Rücklehne, macht es sich bequem, legt die Beine auf das Kissen. Vielleicht ist Edith wirklich glücklich, denkt sie. Einen Augenblick lang sehnt sie sich beinahe nach dem Wahnsinn, der das Leben ihrer Schwägerin langsam zerstört.
Die Hypnophen-Zigarette liegt auf dem Tischchen. Amanda liebkost sie mit Blicken. John ist nicht mehr da, sie kann sie anzünden, ungestört rauchen.
Ihre Gedanken wandern in die Vergangenheit zurück, über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren, als sie John kennengelernt hat. Es war im Sommer des Jahres 2138, ein langer, glücklicher Sommer. Sie gingen oft am verlassenen Strand von Port Nelson spazieren, sie liefen atemlos das Ufer entlang, die Sonne und der Salzgeruch des Meeres berauschten sie.
Amanda raucht gierig, mit tiefen Zügen. Dort auf der Wand ist das Meer, der Fauteuil wird immer weicher, immer nachgiebiger. Jetzt rollen die Wellen schäumend auf sie zu, brechen sich an den spitzen Felsen. Sie spürt den warmen Sand unter den Füßen, sie ist jung, der rasche Lauf treibt ihr das Blut durch die Adern, und dann … John, Johns rauhe, zärtliche Stimme. Das Zimmer ist nicht mehr da, die Wand ist verschwunden. Amanda versinkt in Blau, ein Universum aus leuchtendem, klingendem Blau. Johns Hand packt ihre Schulter, eine kräftige, sichere Hand. Dann lassen sie sich auf den Sand fallen.
Das Meer scheuert unermüdlich die Steine glatt.
Edith lebt außerhalb von Virden, fünfzig Meilen von New Brandon entfernt. Sie wohnt in einem großen Haus, dessen Stil veraltet ist, das an die Altersbauten von Le Corbusier erinnert. Die Südfassade des Hauses wird von einem großen Vordach aus Kunststoff unterbrochen, im Garten gibt es elliptische Beete und Birken, die Wege sind mit bläulich schimmerndem, feinem Kies bedeckt. Das Ganze erinnert ein bißchen an die Autobahnraststätten im vorigen Jahrhundert.
John fliegt jetzt über die Transkanadische. Als Virden unter
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