Wassermans Roboter
hab’ den Roboter zuerst gar nicht bemerkt, man gewöhnt sich so dran, daß man gar nicht mehr hinsieht, aber dann ist an der Station 40./42. Straße eine Frau eingestiegen. Sie muß ihn wohl versehentlich angestoßen haben. Mir ist das aufgefallen, weil sie mit Tüten richtig bepackt war und aussah, als müßte man ihr womöglich helfen. Vermutlich hat sie beim Anfahren das Gleichgewicht verloren und den Roboter ziemlich heftig angestoßen.
Dann sagte der Roboter: ›Halten Sie Abstand! Ich warne Sie.‹ Die Stimme klang wie bei einem Feldwebel auf dem Exerzierplatz. Weil die neuen U-Bahn-Wagen so leise laufen und wegen der Feldwebelstimme war jedes Wort deutlich zu hören. ›Jeder Versuch, mich zu behindern‹, sagte er, ›mich zu beschädigen oder mir etwas fortzunehmen, führt zur Detonation von fünf Kilo Sprengstoff in meinem Brustfach. Das ist eine ernste Warnung. Die Zündung erfolgt automatisch und kann von mir nicht verhindert werden.‹ Das, meine ich, hat er gesagt. ›Meinen Berechnungen zufolge‹, sagte er weiter, ›würde eine Explosion im Augenblick etwa zwanzig Menschen töten. Halten Sie also bitte Abstand!‹
Alle hörten jetzt aufmerksam zu und sahen hin. Sie waren nicht sicher, ob das ein Scherz war, oder was gespielt wurde. Die Frau, die ihn angestoßen hatte, eine rundliche Farbige, verstand ihn zuerst gar nicht und sagte: ›Rede gefälligst nicht so mit mir, du blöder Roboter‹, worauf der Roboter antwortete: ›Halten Sie Abstand, denn wenn Sie mich noch einmal berühren, explodiere ich vor Ihrer Nase.‹ Die Frau sah ihn einen Augenblick lang verständnislos an, sagte dann: ›O Gott‹, und fiel direkt vor ihm in Ohnmacht.
Sie können mir glauben, keiner von uns in dem Wagen wußte, was er tun sollte – und da lag doch die Frau auf dem Boden! Mit so was rechnet bei einem Roboter doch kein Mensch. Alle haben sich umgesehen, weil sie wissen wollten, ob die anderen es auch gehört hatten und es glaubten. Die Leute fragten sich gegenseitig ›Hat er gesagt, er würde explodieren? Ich meine, geht das denn überhaupt?‹ Aber bald schon dachten die meisten wohl, Vorsicht wäre die Mutter der Porzellankiste, und haben sich ans andere Ende von dem Wagen verzogen. Schließlich sind ein paar besonders Mutige zu der Farbigen rübergegangen und haben versucht, sie durch ein paar Patsche ins Gesicht wieder zu sich und auf die Beine zu bringen. Ich hab’ ihnen geholfen, und als wir sie endlich da weghatten, wimmelte alles durcheinander, als hätte jemand gesagt, jetzt wäre es nicht mehr gefährlich.
Im Bahnhof 47./50. Straße leerte sich der Wagen schlagartig, es ging zu wie beim Untergang der Titanic. Nur drei Roboter blieben drin. Komisch, daß keiner darauf gekommen ist, die Notbremse zu ziehen oder sonstwie zu verhindern, daß der Zug weiterfuhr – als könnten wir alle noch nicht glauben, daß wir richtig gehört hatten. Ein paar von den Leuten sind sogar mit demselben Zug weitergefahren und deswegen hat wohl auch die Polizei nicht früh genug von der Sache erfahren, um sich den Roboter noch in der U-Bahn greifen zu können.«
Verschiedene Zeugen aber hatten die Kennummer notiert, und um 12:25 Uhr hatten bereits zwei Polizeibeamte von der New Yorker Stadtpolizei Namen und Geschäftsadresse eines gewissen Daniel Wasserman in die automatische Steuerung ihres Dienstwagens eingegeben und waren auf dem Weg zu seinem Geschäft.
Aus den Polizeiunterlagen geht hervor, daß Daniel Wasserman sechsundfünfzig Jahre alt war und in der 42. Straße, am Südrand von Manhattans Bekleidungsbezirk, eine auf Abendkleidung spezialisierte chemische Reinigung mit angeschlossenem Reparaturdienst betrieb. Höchstwahrscheinlich steckte er schon eine ganze Weile in finanziellen Schwierigkeiten. Er hatte sich vor kurzem scheiden lassen und eine um zwanzig Jahre jüngere Frau mit zwei kleinen Kindern geheiratet. Zwar konnte er sich mit seinem Geschäft über Wasser halten, aber es ging nicht besonders gut.
Verschiedene Befragte, unter ihnen auch Wassermans Kinder aus erster Ehe, erklärten, er habe schon zwei oder drei Jahre vor dem Zwischenfall in der U-Bahn ein in eigentümlicher Weise verändertes Wesen an den Tag gelegt. So meinte er beispielsweise, die Inhaber der benachbarten Läden hätten nichts anderes im Sinn, als ihn aus dem Geschäft zu drängen. Dem Italiener, der eine Imbißbar betrieb, warf er vor, die Schlangen seiner Mittagskunden sollten ihm den Eingang versperren, und den anderen, der
Weitere Kostenlose Bücher