Wassermans Roboter
Handschuhe. Ihr Gesicht hatte unscharfe Umrisse und war, vielleicht durch Krankheit oder Übermüdung bedingt, von unbestimmbarem Weiß, die Augen wirkten stumpf und glanzlos.
Eine Gruppe von Jugendlichen spielte mit einer ferngesteuerten Wurfscheibe auf der Straße. Offenbar beschlossen sie, die Gestalt nicht als Menschen anzusehen, denn sie wählten sie als Opfer ihres Übermuts. Während die Gestalt vorüberschlurfte, führten sie Scheinangriffe auf sie aus, riefen ihr Drohungen und Beschimpfungen zu und ließen die Wurfscheibe haarscharf an ihr vorbeisausen.
Nach Aussage eines Zeugen, der gerade seinen Abfalleimer vor die Kellertür stellte, murmelte die Gestalt im Vorübergehen Verwünschungen, setzte den Jugendlichen aber keinerlei Widerstand entgegen und versuchte auch nicht, sie zurechtzuweisen. Nicht einmal das Gleichmaß ihres Schlurfens durch den tauenden Schnee beschleunigte sie. Allmählich begnügten sich die jungen Leute nicht mehr mit frechen Zurufen und Drohungen: Sie rempelten die Gestalt an und steuerten die schwere Wurfscheibe so, daß sie hart gegen ihre Schultern und den Kopf stieß. Als die Gestalt zusammensackte und zu Boden stürzte, traten sie sie nicht, sondern sprangen darauf, in der Gewißheit, wie sie später sagten, ihre schweren Schuhe würden auf den festen Kunststoffrumpf eines Roboters treffen.
Der Greis, zum Zeitpunkt des Angriffs schon von einer schweren Krankheit stark geschwächt, erlag wenige Stunden darauf im Krankenhaus seinen Verletzungen.
Nicht zum ersten Mal war ein Mensch für einen Roboter gehalten und Opfer eines solchen Anfalls von Zerstörungswut geworden. Als dieser Fall jedoch vor Gericht kam, wurde das ganze Ausmaß der Täuschungsmanöver enthüllt, deren sich die Besitzer von Robotern gegenüber der Öffentlichkeit bedienten, um zu verhindern, daß ihre fleißigen Diener zur Zielscheibe kostspieliger Angriffe wurden.
Die beteiligten Jugendlichen wurden wegen Totschlags verurteilt, nicht aber wegen Mordes. Der Fall schlug in der Öffentlichkeit so hohe Wellen, daß schließlich am 9. Juli 2038 das Peabody-Gesetz erlassen wurde. Es bedrohte mit bis zu zehn Jahren Haft, wer Roboter in der Öffentlichkeit ohne die vom Gesetzgeber vorgesehenen Kennzeichen und Merkmale auftreten ließ, sie wie Menschen kleidete oder auf andere Weise unerkennbar machte.
Dies Gesetz sollte die Menschen vor Angriffen schützen und erfüllte seine Aufgabe im großen und ganzen; doch litten von Stund an die Besitzer und Betreiber von Robotern unter einer wahren Welle der Zerstörungswut, da die nunmehr leicht kenntlichen mechanischen Gehilfen der Menschen Ziel zahlreicher Angriffe wurden. Roboter waren Freiwild.
Diese Umstände führten zur Gründung von Organisationen zum Schutz der Roboter: Die honorigen unter ihnen bemühten sich, mit Hilfe statistischer Analysen Wegstrecken und Uhrzeiten zu erkunden, auf und zu denen Roboter ungefährdet ihre Aufgaben erfüllen konnten. Sie erprobten Alarm- und Belohnungssysteme und programmierten Roboter so, daß sie am Ort einer Bedrohung oder eines Angriffs möglichen Zeugen eine hohe Belohnung anboten, sie entwickelten verborgene optische Sensoren und unzerstörbare Aufzeichnungskapseln, mit deren Hilfe nach einem Angriff die Täter erkannt und verfolgt werden konnten. Skrupellosere Organisationen verkauften einfache Alarmsysteme zu überhöhten Preisen oder programmierten die Roboter in gesetzwidriger Weise so, daß sie, sofern keine Zeugen zu sehen waren, ihrerseits gegen die Angreifer vorgingen. Schließlich gab es noch Agenturen mit besonders unterentwickeltem Rechtsempfinden; sie arbeiteten mit dem organisierten Verbrechen Hand in Hand und drohten Angreifern von ›beschützten‹ Robotern mittelbar oder unmittelbar mit Gewalt.
Von einem ungewöhnlichen Schutzsystem erfuhr die Öffentlichkeit in New York bei einem Zwischenfall in einem Zug der Linie F der U-Bahn am 28. August 2039. Das Ereignis und seine Hintergründe fanden als ›Fall Wasserman‹ weite Verbreitung; es galt als Beweis für die negativen Auswirkungen des Peabody-Gesetzes und wurde von denen für ihre Propaganda ausgeschlachtet, die härtere Strafen für Angriffe auf Roboter forderten.
Eine ganze Anzahl von Zeugen hat den Vorfall beschrieben. Nachstehend im Wortlaut, was Thomas Hikkey, ein fünfundvierzigjähriger Sanitärtechniker aus Brooklyn zu Protokoll gegeben hat: »Der U-Bahn-Wagen war gut besetzt, aber nicht sehr voll. Man konnte gut sehen, was vorging. Ich
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