Wassermelone: Roman (German Edition)
darüber anfangen, wo er seinen Pulli gekauft hatte. Oder über irgend etwas anderes.
»Vermutlich sollen Sie mich ein bisschen foltern«, würde sie beiläufig sagen. »Woran denken Sie so? Ich könnte mir vorstellen, dass Sie mir ein Ohr abschneiden und es mit der Post schicken, um Lösegeld zu fordern. Das würde mir nicht allzu viel ausmachen. Wozu brauch ich überhaupt meine Ohren? Der Mensch hört mit dem Innenohr und nicht mit dem Ding draußen. Allerdings könnte es schwierig werden, wenn ich eine Brille aufsetzen will. Mit einem Ohr würde die ganz schief sitzen. Aber natürlich könnte ich Kontaktlinsen tragen. Ja! Ich könnte Dad bitten, mir gefärbte Kontaktlinsen zu kaufen. Wie wäre es mit braun? Meinen Sie, braune Augen würden mir stehen?«
Der arme Terrorist wäre völlig erschöpft und entsetzt.
»Halt die Schnauze, Miststück«, würde er sie vielleicht anknurren.
Unter Umständen würde sie ein oder zwei Augenblicke den Mund halten, dann aber gleich weiterplappern.
»Das sind hübsche Handschellen. Ich hab auch welche, aber nur so blöde alte Plastikdinger. Das gehört wohl zu den Vorteilen IhrerArbeit, dass Sie sich die guten Handschellen ausleihen dürfen. Sie wissen schon, um Ihre Freundin zu fesseln und so. Allerdings könnte es da Probleme geben, wenn Sie einen Gefangenen haben. Aber ich bin nicht so – von mir aus können Sie die Handschellen heute Nacht mitnehmen. Ich versprech Ihnen auch, dass ich keinen Fluchtversuch mache …« Und so weiter, bis zur völligen Erschöpfung des Terroristen.
Jedenfalls ging sie schließlich. Irgendein armer Trottel aus ihrem Semester, ein gewisser Anthony, hatte das zweifelhafte Vergnügen, sie auf der dreistündigen Fahrt nach Belfast in seinem Wagen neben sich zu haben.
Mit frommer Miene nahm sie neben ihm Platz, wobei sie eine Flasche mit Weihwasser an sich drückte.
Adam erwähnte sie vor der Abfahrt nicht mit einer Silbe. Die blöde Kuh.
Womöglich fuhr er ebenfalls nach Belfast. Womöglich war er schon da. Womöglich waren in Rathmines alle Telefone ausgefallen, und deshalb hatte er nicht anrufen können. Womöglich war er beim Radfahren unter ein Auto gekommen und lag jetzt schwerverletzt im Krankenhaus.
Entscheidend war, dass er mich nicht angerufen hatte. Er würde auch nicht anrufen. Was sollte ich jetzt tun?
Merkwürdigerweise hatte ich während der letzten Tage kaum an James gedacht. Mein Kopf war vollständig mit Adam angefüllt gewesen – Adam, Adam, Adam.
Ungefähr so, wie sich die Stewards auf der Titanic größere Sorgen um die ungeleerten Aschenbecher in der Bar gemacht hatten als um das riesige Leck in der Bordwand, durch das ungeheure Wassermengen eindrangen, machte ich mir Gedanken über das Unwichtige, ohne groß auf das Entscheidende zu achten. So herum ist es manchmal einfacher. Immerhin stand es in meinen Kräften, einen Aschenbecher zu leeren, während ich wegen des riesigen Lecks so recht nichts unternehmen konnte. Ein hübscherVergleich.
Aber die praktische Folge davon war, dass ich den ganzen Dienstag im Haus herumhing. Allerdings meine ich herumhängen nicht so wie bei betrunkenen Fußballfans nach dem Spiel im Bus nach Hause. Sondern dass ich mich elend und traurig fühlte.
Ob ich James angerufen habe? Tut mir leid, nein.
Ich litt an einem schlimmen Fall von Selbstmitleid, einer besonders hinterhältigen Spielart des armen Ich.
Natürlich war das keine wirkliche Entschuldigung. Ich wollte mich damit weiß Gott nicht rechtfertigen. Aber ich war, ich war, ich war … deprimiert, zum Teufel noch mal.
20
A m nächsten Tag ging es mir viel besser.
Meine Güte! Ist Ihnen je ein Mensch über den Weg gelaufen, der so voll Selbstmitleid war wie ich? Es war einfach lachhaft, und es musste aufhören.
Also schleppte ich mich aus dem Bett und versorgte Kate. Dann versorgte ich mich selbst. Keine Angst, hier folgt keine Wiederholungsvorstellung des Mich-Betrinkens und Michnicht-Waschens. So schlimm standen die Dinge nicht.
Ich brachte den Tag herum, wenn ich auch ehrlich gesagt nichts besonders Aufregendes zustande brachte.
Weder habe ich eine Möglichkeit entdeckt, Krebs zu heilen, noch die laufmaschenfeste Strumpfhose erfunden. Ich schäme mich schrecklich, Ihnen zu sagen, dass ich nicht mal James angerufen habe.
Ich weiß, ich weiß! Es tut mir leid. Mir ist klar, dass ich das hätte tun müssen und dass ich mich vor meiner Verantwortung gedrückt habe. Aber ich fühlte mich so leer und allein, empfand Trauer
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