Wassermelone: Roman (German Edition)
und Einsamkeit und was sonst noch zum Kapitel »Verlust«, Unterkapitel »Zurückweisung«, gehört.
Trotzdem war das kein Grund, darauf zu warten, dass mir die gebratenen Tauben in den Mund flogen.
Immerhin brachte ich es am Donnerstag fertig aufzustehen. Nicht nur das, ich rief auch James an. Und ich war nicht einmal nervös, Adam sei Dank. So hat alles sein Gutes und so weiter.
Ich bin nämlich an den Anruf bei James mit der Haltung herangegangen: »He! Glaub bloß nicht, dass du was Besonderes bist. Das bist du auf keinen Fall. Du bist nicht der Einzige, der es fertigbringt, dass ich mich traurig, einsam und zurückgewiesen fühle. Oh nein! Es gibt Millionen andere, die das auch können. So!«
Vom Standpunkt des Selbstwertgefühls aus betrachtet mag diese Haltung nicht optimal sein, aber sie ist besser als nichts.
Als ich die Nummer von James’ Büro in London wählte, zitterten meine Hände nicht, und meine Stimme war nicht die Spur unsicher.
Sieh mal an, dachte ich. Interessant .
James’ Macht über mich war nicht mehr groß genug, aus mir ein zitterndes Wrack zu machen. Wir wollen uns da jetzt aber nicht zu sehr hineinsteigern.
Mit selbstsicherer und gelassener Stimme fragte ich die Telefonistin, ob ich mit ihm sprechen könne.
Es kam mir vor, als läge eine Million Kilometer zwischen mir und London. Als wäre es so weit entfernt wie ein anderer Planet. Kaum zu glauben, dass ich es jeden Abend in den Fernsehnachrichten sah. Die Telefonistin klang sehr fern und sehr fremd. Darin spiegelten sich meine Gefühle.
Mein Leben mit James war sehr fern und sehr fremd geworden. Vielleicht lag es aber auch daran, dass die Telefonistin Griechin war.
Jedenfalls war ich völlig gelassen, während ich darauf wartete, mit ihm zu sprechen. Was war denn schon groß los? Was hatte ich zu verlieren? Nichts.
Wie einmal jemand gesagt hat – offenbar ein elender, süffisanter Misanthrop –, Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts mehr zu verlieren hat.
Bis dahin war ich der Ansicht gewesen, Freiheit sei es, schwimmen gehen zu können, wenn ich meine Periode hatte. Wie wenig ich doch gewusst hatte! Natürlich glaubt man mit zwölf Jahren alles Mögliche.
Wussten Sie schon, dass man keine Kinder kriegt, wenn man es im Stehen tut? Ehrlich. Und wussten Sie auch, dass man Kinder kriegen kann, wenn man einem Mann das Ding lutscht?
Mir allerdings würde das nie passieren, weil ich so etwas Ekelhaftes nie täte. Einem Mann das Ding lutschen!
Ich glaubte auch nicht eine Sekunde, dass es irgendwo auf der Welt ein Mädchen gäbe, das zu etwas so Widerwärtigem und Abstoßendem imstande wäre.
Mit zwölf Jahren kannte ich den Begriff »widernatürliche Unzucht« noch nicht, aber ich hätte ihn wie eine lange verlorene Schwester willkommen geheißen. Ich könnte um das unschuldige Kind weinen, um die idealistische Zwölfjährige, die ich einst war. Andererseits wusste ich nicht, was mir entging.
Oh, entschuldigen Sie – Sie wollen wissen, wie es mit meinem Anruf bei James weiterging? Hatte ich das noch nicht gesagt? Er war nicht da. In einer Sitzung oder so was.
Nein, ich habe nicht hinterlassen, wer angerufen hatte. Ja, Sie haben recht, wenn Sie vermuten, dass ich ein wenig erleichtert war, nicht mit ihm sprechen zu müssen.
Aber meine Position war unangreifbar. Ich hatte ihn angerufen, oder?
Jemand soll kommen und sagen, ich hätte es nicht getan.
War es meine Schuld, dass er nicht zu sprechen war? Absolut nicht.
Aber es hieß, dass ich ein paar Stunden lang kein schlechtes Gewissen zu haben brauchte.
Und war deswegen gegen Donnerstagmittag ziemlich guter Stimmung. Glücklich nahm ich Kate aus ihrem Bettchen und wirbelte sie herum. Bestimmt geben wir ein wunderschönes Bild ab, dachte ich. Das wunderschöne Kind, das von seiner hingebungsvollen Mutter liebevoll gehalten wird.
Kate sah ängstlich drein und begann zu schreien, aber das spielte keine Rolle. Ich meinte es gut mit ihr. Mein Herz war auf dem rechten Fleck. Auch wenn Kates Schwerpunkt das nicht war.
»Komm, mein Schatz«, sagte ich. »Wir ziehen jetzt unseren schönsten Strampelanzug an, gehen in die Stadt und sehen uns die Leute an.« So gingen Kate und ich in die Stadt.
Für mich konnte ich nach meinem Großeinkauf vom Samstag wirklich nichts mehr zum Anziehen kaufen. Aber für Kate.
Ha! Vergeuden Sie Ihre Zeit nicht mit dem Versuch, mir deswegen ein schlechtes Gewissen einzureden. Ich hatte ein hieb- und stichfestes
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