Wassermelone: Roman (German Edition)
hatte er es ziemlich eilig. Es war offensichtlich, dass er nicht schnell genug rauskommen konnte. Keinerlei Angebot, mir die Taschen herunterzuholen. Ich konnte ihm keinen Vorwurf machen.
3
J etzt zur Gepäckausgabe. Für mich ist das jedes Mal eine Tortur. Wissen Sie, was ich meine?
Die Bangigkeit beginnt in dem Augenblick, in dem ich die Ankunftshalle betrete und mich vor das Gepäck-Förderband stelle. Mit einem Mal bin ich überzeugt, dass sich all die freundlichen, angenehmen Menschen, mit denen ich gemeinsam geflogen bin, in abscheuliche Gepäckdiebe verwandelt haben. Jeder Einzelne von ihnen hat nichts anderes im Sinn, als mein Gepäck zu stehlen.
Ich stehe da und verziehe das Gesicht vor Misstrauen. Während ich ein Auge auf den Schlund gerichtet halte, der das Gepäck ausspeit, wandert das andere von einem zum anderen um mich herum und versucht, ihnen klarzumachen, dass ich ihre finsteren Absichten durchschaut habe und sie mit ihren üblen Tricks bei mir an die Falsche geraten sind.
Vermutlich würde es die Sache ein wenig erleichtern, wenn ich zu den planenden Menschen gehörte, denen es irgendwie gelingt, am Anfang des Bandes zu stehen. Aber ich lande immer am hinteren Ende, stelle mich auf die Zehen und spähe zu dem Schlund hinüber, um zu sehen, was gerade herauskommt. Wenn ich dann endlich mein Gepäck sehe, habe ich solche Angst,jemand könnte es stehlen, dass ich nicht geduldig stehenbleibe und warte, bis das Band es mir vor die Füße trägt. Stattdessen laufe ich durch die ganze Ankunftshalle, um es vom Band herunterzunehmen, bevor es jemand anders tut. Nur gelingt es mir gewöhnlich nicht, die dichte Reihe der Gepäckwagen um das Band herum zu durchbrechen. Also läuft mein Gepäck munter an mir vorüber und umrundet die Ankunftshalle mehrere Male, bevor ich es erwische.
Ein Albtraum!
Diesmal gelang es mir zu meiner Überraschung, einen Platz ganz in der Nähe des Schlundes zu bekommen. Vielleicht war man freundlicher als sonst zu mir, weil ich ein Kleinkind dabeihatte. Ich hatte doch gewusst, dass es nützlich sein würde.
Also wartete ich am Gepäck-Förderband, mahnte mich zur Geduld, rempelte zurück, wenn mich die anderen Leute anstießen, die gerade aus dem Flugzeug gekommen waren, und ging jedes Mal vor Schmerzen in die Knie, wenn mir ein Mitpassagier seinen Gepäckwagen in die Hacken stieß.
Ich nahm mit möglichst vielen Menschen Blickkontakt auf. Damit hoffte ich zu erreichen, dass sie mein Gepäck nicht stahlen. Raten Kriminologen uns das nicht? Sie wissen schon, wovon ich rede. Eine Geisel soll eine Beziehung zu den Geiselnehmern aufbauen, Blickkontakt herstellen, damit sie merken, dass man ein Mensch ist, dann bringen sie einen nicht so schnell um. Bestimmt wissen Sie, was ich meine.
Eine Ewigkeit passierte nichts. Aller Augen richteten sich auf die schwarze Öffnung, aus der unser Gepäck kommen musste. Niemand sprach. Niemand wagte auch nur zu atmen. Dann ertönte mit einem Mal das Geräusch des Gepäck-Förderbandes, das sich in Gang setzte! Großartig!
Es war aber nicht unseres. Eine Ansage ertönte aus dem Lautsprecher. »Die Passagiere des Fluges EI 179 aus London werden gebeten, ihr Gepäck an Band vier abzuholen.« Und das, obwohl uns während der letzten zwanzig Minuten die Anzeige über Band zwei versichert hatte, unser Gepäck werde bald dort auftauchen.
Alle hetzten zum Förderband Nummer vier. Die Menschen drängten und stießen einander, als hinge ihr Leben davon ab. Diesmal schien sich niemand besonders um den Säugling in meinen Armen zu kümmern. Als Ergebnis stand ich am hintersten Ende des Förderbandes. Eine Weile ging es mir gut. Ich war sogar ganz ruhig. Ich versuchte, betont munter dreinzublicken, während die Menschen um mich herum einer nach dem anderen ihr Gepäck vom Band nahmen. Niemand, der bei klarem Verstand war, würde auf den Gedanken kommen, Taschen voller Säuglingskleidung und -fläschchen zu stehlen, sagte ich mir. Außerdem hatte ich vollesVertrauen zum Bodenpersonal des Flughafens Dublin – die würden mein Gepäck schon nicht auf eine nach Darwin oder zum Mars bestimmte Maschine umladen.
Als sich allerdings auf dem Förderband nur noch eine Golftasche befand, die schon vierzehnmal an mir vorbeigekommen war und den Anschein erweckte, als wäre sie seit Ende der siebziger Jahre da, und mir auffiel, dass nicht nur außer mir und meiner Kleinen niemand mehr da war, sondern der Wind auch schon verdorrtes Gras durch die Ankunftshalle
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