Wassermelone: Roman (German Edition)
Schrank. Es war wie eine Art Schrein.
Ich schleuderte die Reisetasche auf den Boden, stellte die Trageschale hin, legte die Kleine hinein, stellte den Flaschenwärmer mit dem Bild der Kuh, die über den Mond springt, auf die Frisierkommode, setzte mich aufs Bett und streifte die Schuhe ab. Dann räumte ich meine Bücher ein und stellte meine überquellende offene Kosmetiktasche auf den Nachttisch. Sofort sah es im Zimmer aus wie in einem Schweinestall. Das war schon viel besser.
»Wer ist noch zu Hause?«, fragte ich meine Mutter.
»Im Augenblick nur Dad und ich«, sagte sie. »Helen ist in der Uni, sie kommt im Laufe des Tages. Wo sich Anna herumtreibt, weiß Gott allein. Ich hab sie seit Tagen nicht gesehen.«
Anna und Helen waren meine beiden jüngsten Schwestern und die einzigen, die noch nicht flügge waren.
Mum blieb bei mir sitzen, während ich die Kleine fütterte. Nachdem ich sie ihr Bäuerchen hatte machen lassen und sie wieder hingelegt hatte, saßen wir beide schweigend auf der Bettkante beieinander. Es hörte auf zu regnen, und die Sonne zeigte sich. Der Wind, der durch die Bäume strich, brachte den Geruch des Gartens durch das offene Fenster herein. Es war ein friedlicher Februarabend.
»Möchtest du was essen?«, fragte meine Mutter schließlich. Ich schüttelte den Kopf.
»Aber du musst essen, vor allem jetzt, wo du die Kleine hast. Du brauchst deine Kräfte. Soll ich dir etwas Suppe machen?« Unwillkürlich zuckte ich zusammen.
»Aus der Tüte?«, fragte ich.
»Aus der Tüte«, bestätigte sie freundlich.
»Nein, wirklich, Mum, ich brauche nichts.«
Vielleicht sollte ich das erklären. Bekanntlich überspringt die Fähigkeit zu kochen jeweils eine Generation. Da ich kochen kann, würde meine Tochter, Gott steh ihr bei, nicht kochen können. Ein toller Start ins Leben. Auch meine Mutter konnte nicht kochen. Sie stand auf nicht besonders freundschaftlichem Fuß mit kulinarischen Genüssen. Der Ehrlichkeit halber muss ich sagen: Mum und kulinarische Genüsse grüßten sich, aber sie redeten nicht miteinander.
Albtraumhafte Erinnerungen an Abendessen im Kreise der Familie stiegen in mir auf. War ich verrückt? Warum um Gottes willen war ich nach Hause gekommen? Wollte ich wirklich verhungern?
Wer das nächste Mal möglichst schnell viel abnehmen muss (für einen zweiwöchigen Urlaub in der Sonne? Für die Hochzeit der Schwester? Für eine Verabredung mit dem gutaussehenden Burschen aus dem Büro?), braucht weder Weight Watchers noch Du-darfst-Produkte oder Abnehmpülverchen. Ein paar Wochen in unserem Hause, wenn meine Mutter kocht, genügen da völlig.
Im Ernst, wir haben viel Platz. Rachels Zimmer zum Beispiel steht leer. Wer diese Kur macht, ist nach den zwei Wochen nur noch Haut und Knochen, denn ganz gleich, wie viel Hunger man hat, keiner bringt etwas herunter, das meine Mutter auf den Tisch stellt. Ich verstehe nicht, wieso keine von uns je wegen Unterernährung ins Krankenhaus musste, als wir jünger waren.
Meine Schwestern und ich wurden zum Abendessen gerufen. Wir setzten uns an den Tisch und starrten einige Augenblicke lang schweigend auf den Teller vor uns. Schließlich sagte eine: »Was meint ihr?«
»Könnte es Hühnchen sein?«, fragte Margaret zweifelnd und stocherte vorsichtig mit der Gabel an dem herum, was auf dem Teller lag.
»Also ich hätte auf Blumenkohl getippt«, meinte Rachel (sie ist Vegetarierin) und schlurfte davon, weil es sie würgte.
»Was auch immer es ist, ich rühr es nicht an«, sagte Helen. »Wenigstens weiß man bei Cornflakes, was man hat.« Mit diesen Worten ging sie und holte sich eine Schüssel Cornflakes.
Bis sich Mum an den Tisch setzte und uns sagte, was es war: »Es ist Colcannon, ihr undankbaren Geschöpfe«, hatten wir alle bereits das Weite gesucht und bemühten uns, in der Küche etwas zu finden, das eher essbar war als dieser Eintopf aus gestampftem Kohl und Kartoffeln.
»Margaret«, rief Mum, weil sie wusste, dass sie die Gehorsamste von uns allen war, »willst du es nicht wenigstens probieren?«
Also führte das brave Mädchen ein wenig davon zum Munde.
»Nun?«, fragte Mum und wagte kaum zu atmen.
»Das sollte man keinem Hund geben«, erklärte ihr Margaret, zu deren Tugenden neben Gehorsam und Unerschrockenheit auch Aufrichtigkeit gehörte.
Nach mehreren Jahren tränenreicher Abendessen und immer höherer Rechnungen für Frühstücksflocken beschloss meine Mutter zur allgemeinen Erleichterung, das Kochen aufzugeben. Wenn dann
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