Wassermelone: Roman (German Edition)
Augenblick wurde die Tür geöffnet, was uns beide aus dem Elend riss, in dem wir versunken waren. Helen kam herein (meine achtzehnjährige, stets lachende jüngste Schwester Helen mit den schrägen Katzenaugen, den kleinen weißen, gleichmäßigen Zähnen und dem langen schwarzen Haar, die es mit Ach und Krach auf die Universität geschafft hatte, wo sie im ersten Jahr so unglaublich brauchbare Fächer wie Anthropologie, Kunstgeschichte und Altgriechisch studierte. Obwohl sie sich grauenhaft aufführte, waren die meisten Menschen von ihr hingerissen, vor allem die Männer, denen sie busladungsweise das Herz brach. Es hätte mich gar nicht gewundert, wenn es statt ›Frech wie Oskar‹ hieße ›Frech wie Helen‹).
»Du hier!«, rief sie aus, als sie ins Zimmer platzte.
»Lass mich mal meine Nichte sehen«, kreischte sie. »Ist ja scharf! Jetzt bin ich also Tante. War es schlimm? Ist es wirklich so, als wenn man versucht, ein Sofa auszukacken? Erzähl, ich wollte immer schon wissen, warum sie das viele Wasser heiß machen und Bettlaken in Stücke reißen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, stieß sie mit ihrem Gesicht auf das arme Kind herunter, das prompt vor Schrecken zu schreien begann. Helen nahm es auf und klemmte es sich wie einen Rugbyball unter den Arm, als wollte sie den entscheidenden Punkt für Irland machen.
»Warum schreit sie?«, wollte sie wissen.
Was hätte ich dazu sagen sollen?
»Wie heißt sie?«, fragte sie.
»Claire hat sich noch nicht für einen Namen entschieden«, sagte meine Mutter.
»Doch«, sagte ich, entschlossen, zur allgemeinen Verwirrung beizutragen.
Ich sah Mum an. »Ich hab beschlossen, sie nach deiner Mutter zu nennen.«
»Was!«, kreischte Helen entsetzt auf. »Du kannst sie unmöglich Oma Maguire nennen. Das ist doch kein Name für einen Säugling.«
»Nein, Helen«, sagte ich müde. »Ich nenne sie Kate.«
Sie sah mich einen Augenblick lang an, und das hübsche Näschen kräuselte sich, während es ihr dämmerte.
»Ach so «, sagte sie und lachte. Dann murmelte sie, allerdings nicht besonders leise: »Das ist trotzdem kein Name für einen Säugling.«
Sie gab mir die Kleine zurück, ungefähr so, wie ein Bauer dem Gemüsehändler einen Sack Kartoffeln vom Wagen herunterreicht, dessen Wohlergehen ihm herzlich gleichgültig ist. Dann sagte sie zu meinem Entsetzen: »He, ist James da? Wo ist James?«
Offensichtlich war sie nicht im Bilde. Ich begann zu weinen.
»Gott«, sagte sie erschreckt.
»Warum weint sie jetzt?«, fragte sie Mum. Die sah sie lediglich wortlos an und war außerstande, ihr zu antworten.
Sollte man es für möglich halten? Sie weinte ebenfalls.
Verwirrt und voll Abscheu sah Helen zu, wie drei Generationen Frauen aus dem Hause Walsh weinten.
»Was ist mit euch los? Was hab ich denn gesagt? Mum, warum weinst du?«, fragte sie verzweifelt.
Wir saßen aneinandergedrängt auf dem Bett und sahen sie lediglich an, während uns die Tränen über das Gesicht liefen und Kate mit ihrem nagelneuen Namen wie eine Lokomotive brüllte.
»Was wird hier eigentlich gespielt?«, fragte Helen verständnislos.
Wir saßen nach wie vor da und sagten kein Wort.
»Ich geh runter und frag Dad«, drohte sie. Dann biss sie sich auf die Lippe und blieb eine Weile zögernd in der Nähe der Tür stehen, während sie darüber nachdachte. »Aber womöglich fängt der auch noch an zu heulen.«
Schließlich brachte meine Mutter heraus: »Nein, bleib hier, Liebes.« Sie hielt ihr die Hand hin. »Komm und setz dich. Du hast gar nichts getan.«
»Und warum heult ihr dann?«, fragte Helen, während sie zögernd zum Bett der Tränen zurückkehrte.
»Ja, warum weinst du? «, fragte ich Mum. Das wollte ich ebenso dringend erfahren wie Helen. Hatte ihr Mann sie etwa vor kurzem verlassen? Musste ihre Windel gewechselt werden?
Keins von beiden traf zu – warum also die Tränen?
»Weil ich gerade an Oma denken musste«, schniefte sie. »Und dass sie ihre erste Urenkelin nicht gesehen hat. Es ist lieb von dir, dass du das Kind nach ihr nennst. Es hätte sie gefreut. Es wäre ihr eine Ehre gewesen.«
Ich hatte ein schrecklich schlechtes Gewissen. Zumindest lebte meine Mutter noch. Die arme Mum. Meine Großmutter war erst letztes Jahr gestorben, und sie fehlte uns allen. Ich nahm Mum und die kleine Kate, die beide weinten, in die Arme.
»Es ist richtig schade«, sagte Helen wehmütig.
»Was?«, fragte ich.
»Dass Oma keinen flotten Namen wie Tamsin, Isolde oder Jet hatte«, sagte
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