Wassermelone: Roman (German Edition)
falsch war.
Ich konnte nicht ohne James leben. Er war Teil meiner selbst.
Wäre mir der Arm abgefallen, hätte ich auch nicht gesagt: »Lass gut sein. Wenn er zurückkommen soll, tut er es auch. Es hat keinen Sinn, ihn zu drängen. Damit vertreibst du ihn vielleicht nur.« Schließlich war es mein Arm, und James war weit mehr ein Teil von mir als irgendein Arm.
Ich hatte James viel nötiger. Ich liebte ihn viel mehr. Ich konnte einfach nicht ohne ihn leben. Ich wollte ihn zurück. Ich wollte mein Leben mit ihm zurück. Ich war sicher, dass ich den Strom meines Lebens in sein gewohntes Bett zurückbekommen würde (und James auch). Entschuldigung, das war geschmacklos.
Panik überfiel mich. Und wenn ich nun damit zu lange gewartet hatte? Ich hätte nie abreisen dürfen. Ich hätte mich nicht unterkriegen lassen dürfen und ihm einfach sagen müssen, dass er und ich es schon schaffen würden. Hätte ihm sagen müssen, dass er unmöglich diese Denise lieben konnte. Dass er mich liebte. Dass ich viel zu sehr ein Teil von ihm war, als dass er mich nicht liebte.
Aber ich hatte mich geschlagen gegeben und ihn ohne Gegenwehr Denises Zellulitisarmen überlassen (doch, sie hatte Zellulitis). Ich musste sofort mit ihm sprechen.
Es würde ihn nicht stören, dass ich ihn um vier Uhr morgens anrief. Schließlich ging es um ihn. Er war mein bester Freund. Was auch immer ich tat, es würde ihm nichts ausmachen. Er verstand mich. Er kannte mich.
Gleich am Vormittag würde ich mit Kate nach London zurückfliegen, und mein Leben wäre wieder in Ordnung. Die vergangene Woche würde ich aus meinem Gedächtnis streichen. Wir würden den Bruch in unserem Leben nahtlos reparieren. Die Narbe würde so verblassen, dass sie nur erkennen würde, wer ganz genau hinsah. Alles würde in Ordnung kommen. Alles käme wieder ins Lot. So wie es von Anfang an hätte sein sollen. Es war ein schrecklicher Fehler, ein entsetzliches Durcheinander, aber es war zu keinem dauerhaften Schaden gekommen. Ende gut, alles gut, stimmt doch? Ich weiß, was Sie jetzt denken. Wirklich, ich weiß es. Sie denken: »Die hat den Verstand verloren.« – Na ja, vielleicht hatte ich tatsächlich vor Kummer den Verstand verloren. Bestimmt denken Sie jetzt: »Hab ein bisschen Selbstachtung, Claire.«
Aber, mir war klargeworden, dass mir meine Ehe wichtiger war als meine Selbstachtung. Selbstachtung wärmt mich nachts nicht. Selbstachtung hört mir abends nicht zu. Selbstachtung sagt mir nicht, sie würde lieber mit mir als mit Cindy Crawford ins Bett gehen.
James hatte nicht einfach eine Klassenkameradin ins Konzert eingeladen. Hier ging es nicht um eine Romanze , sondern um Liebe und keineswegs darum, dass ein Schulmädchentraum zerplatzt wäre wie ein Luftballon.
Ich liebte James. Er war Teil von mir. Das war zu gut, das konnte ich nicht einfach aufgeben. Selbst wenn mich der Kapitän der Fußballmannschaft an seiner Statt ins Konzert eingeladen hätte, ich mein neues Kleid hätte anziehen, den Kopf hoch tragen und meinen Stolz hätte bewahren können, wäre das egal gewesen. Ich musste James trotzdem zurückbekommen.
Ich quälte mich aus dem Bett und kämpfte mich durch den Hektar Stoff des Kunstfasernachthemdes, das mir meine Mutter aufgenötigt hatte. Bei meiner Flucht aus London hatte ich vergessen, ein Nachthemd einzupacken, und als meine Mutter das gemerkt hatte, hatte sie mir schroff mitgeteilt, unter ihrem Dach schlafe niemand nackt. »Wenn nun ein Feuer ausbricht?« und »Schon möglich, dass man das in London so macht, aber da bist du jetzt nicht.« Also hatte ich die Wahl, ob ich einen Schlafanzug mit Paisley-Muster von meinem Vater oder eins von Mums ungeheuer weiten und bodenlangen viktorianischen geblümten Nachthemden mit Stehkragen und Flauschfutter anziehen wollte. Mir ist unerfindlich, wie eine Frau, die so etwas trug, ihren Mann dazu gebracht hatte, sie auch nur ein einziges Mal zu schwängern, geschweige denn fünfmal …
Ein solches Nachthemd würde sogar die Glut eines fünfzehnjährigen Sizilianers ersticken. Bis sich jemand Meter um Meter durch diesen Stoff gearbeitet hatte, um ein Stückchen Haut zu entdecken, wäre er für alles andere viel zu erschöpft gewesen.
Ich hatte mich gegen Dads Schlafanzug entschieden, weil er so niederschmetternd knapp saß, während mir die ungeheuren Stoffmengen des Nachthemds die Illusion schenkten, schlank, niedlich und ein kleines Mädchen zu sein.
Ich kapierte, dass alle Empfindungen relativ sind. Die
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